Uta Oberkampf

Rösrath liest

Uta Oberkampf

Uta Oberkampf also zu fragen, ob Literatur in ihrem Leben eine große Rolle spiele, erübrigt sich völlig. Der Fragende kann sich die Antwort darauf nämlich leicht selber geben. »Ich habe schon als Kind viel gelesen, meistens auch gar nicht so sehr Kinderbücher. Mit zehn Jahren habe ich sogar Immanuel Kant zur Hand genommen und natürlich nichts verstanden.« Sie schmökerte auch in Karl-May-Bänden, aber nur in denen, die im »Wilden Westen« spielten, und machte mit der Nesthäkchen-Reihe Bekanntschaft. Gelesen wurde oft genug mit der Taschenlampe unter der Bettdecke, bis die Batterie glühte.

Heute liest die 71-jährige zwar immer noch gern im Liegen, aber sie hat auch am helllichten Tag einen schönen Platz zum Lesen gefunden, mit Oberlicht und einem weiten Blick über Hoffnungsthal, die Regale bis zur Decke mit Büchern bestückt, deren Duft im Raum schweben. Dort kann sie sich gut dem »wunderbaren Simulationsraum« (Originalton Oberkampf) der Literatur hingeben, wo man im Sommer einen Nordpolroman liest und sofort anfängt zu frieren. Ein wunderbarer Simulationsraum ist auch das Buch, das Uta Oberkampf vorstellen möchte: Austerlitz vom deutschen Schrift­steller Winfried Georg Sebald.

»Die Frankfurter Rundschau nannte Sebalds Texte einmal Prosamusik«, erinnert sie sich, und gerade wegen der Sprache hat sie das 432 Seiten starke Buch, das sich nicht in die üblichen Genreschubladen einordnen lässt, beeindruckt. »Sebald hat eine wunderschöne Sprache, lange ein- und ausatmende Sätze, es stimmt jedes Wort«, ist Oberkampf begeistert.

Zum Inhalt: Ein Erzähler begeg­net immer mal wieder in zeitlichen Abständen und an verschiedenen Orten wie Wartesälen von Bahnhöfen, Pariser Cafés oder Londoner Studierstuben einem rätselhaften Fremden namens Jacques Austerlitz. Sie sprechen zunächst über die verschiedensten Dinge, über Architektur, Kultur oder über die Zeit. So erklärt Austerlitz einmal, warum er keine Uhr besitzt: »Eine Uhr ist mir immer wie etwas Lachhaftes vorgekommen, wie etwas von Grund auf Verlogenes, vielleicht weil ich mich, aus einem mir selber nie verständlichen inneren Antrieb, gegen die Macht der Zeit stets gesträubt und von dem so genannten Zeitgeschehen mich ausgeschlossen habe, in der Hoffnung, wie ich heute denke, sagte Austerlitz, dass die Zeit nicht verginge, nicht vergangen sei, …« Nach und nach erzählt Austerlitz bei den Zusammenkünften auch über seine Stück für Stück entdeckte jüdische Herkunft. Er ist Kind einer jüdischen Prager Schauspielerin, war mit einem Kindertransport nach England gekommen, dort von einem calvinistischen Predigerpaar erzogen worden und später Wissenschaftler, der erst im Alter seiner vergessenen Herkunft in Prag, Theresienstadt und Paris nachspürt. Das alles wird vom Erzähler erzählt, der erzählt, was Austerlitz ihm erzählt. »Es ist ein Spiel mit der Realität, mit verschiedenen Zeitebenen und Erinnerungen. Dabei wird Dokumentarisches und Fiktives vermischt, es werden sogar Fotos eingelegt«, erklärt Oberkampf, so als ob es sich bei »Austerlitz« um eine Biografie handelte. »Verunsicherung entsteht: Was passiert, wenn einem die Identität genommen wird.« Wer bin ich wirklich? Diese Frage setzt persönliche und gesellschaftliche Erinnerungsarbeit in Gang … (Sigrun Stroncik)