Pflege rund um die Uhr

Diakonie-Sozialstation Rösrath

Pflege rund um die Uhr

6.30 Uhr. Ina Bungard sitzt im Büro der Diakonie-Sozialstation Rösrath und muss auf die Schnelle ein Problem lösen. Eine Kollegin ist kurzfristig ausgefallen und die Mehrarbeit muss in die ausgeklügelten Einsatzpläne integriert werden. Seit 14 Jahren arbeitet die examinierte Krankenschwester bei der Diakonie und vertritt die Pflegedienstleitung bei Abwesenheit, was zusätzliche administrative Pflichten bedeutet. Sie informiert noch kurz eine Kollegin über einen neuen Patienten. Knappe Worte umreißen ein Schicksal, das im Alter jeden ereilen könnte: dement und komplett ans Bett gefesselt.

7.15 Uhr. Die Haustür ist offen. Die Tochter der Patientin erwartet Ina Bungard schon. Man kennt sich seit Jahren. Tochter, Krankenschwester und  Patientin sind ein eingespieltes Team. Im Schlafzimmer ist die alte Dame schon wach und begrüßt Schwester Ina: »Jetzt werden die Läuse geweckt.« Dabei lacht sie und versprüht ansteckend gute Laune. Ina Bungard hilft ihr vom Bett in den Rollstuhl und wuchtet diesen über eine schwer zu nehmende Schwelle. »Wir fahren über die Sülz«, heißt das im Familienjargon. Sie arbeitet konzentriert, jeder Handgriff sitzt. Waschen, anziehen, dabei Gespräche führen und schließlich an den Frühstückstisch schieben. Mit speziellen Salben und Umschlägen werden nun die Unterschenkel der 91-Jährigen behandelt. Jahrelang hat sie  unter offenen Beinen gelitten. Mit viel Geduld und professioneller Pflege sind die Wunden zugeheilt, nur der große Zeh am rechten Fuß macht noch Ärger – »Schweinehund« hat die betagte Dame ihn getauft. Zum Schluss dokumentiert Ina Bungard  in der Patienten-Akte lückenlos, was sie gemacht hat und wie viel Zeit sie dafür gebraucht hat.

8.12 Uhr. Die Wohnungstür wird aufgeschlossen. Die alte Dame wartet schon angezogen in ihrem winzigen mit Erinnerungen vollgestellten Wohnzimmer. Medikamente für die Woche werden bereitet, dann erhält die Diabetikerin eine Insulinspritze und bekommt die äußerst engen Kompressionsstrümpfe übergezogen.

Jeder Einsatz ist mit genauen Zeiten hinterlegt. Große Grundpflege 43 Minuten, kleine Pflege 20 Minuten, Medikamente verabreichen fünf Minuten.

8.20 Uhr. »Wie geht’s ihnen heute?«,  fragt Bungard etliche Minuten später in einem anderen kleinen Wohnzimmer, in einer anderen Straße. »Ich kann mich ja nicht jeden Tag beklagen«, antwortet die Angesprochene etwas weinerlich und lässt sich geduldig den Blutzucker messen.

Spritzen geben, Verbände anlegen, Wundversorgung, waschen, baden, Blutdruck messen, alles das gehört zu den Aufgaben der Krankenschwester. Persönliche Ansprache gibt es obendrauf.

8.35 Uhr. Wieder eine kleine Wohnung, wieder eine verwitwete alte Dame. Dass sie mittlerweile Hilfe beim Duschen braucht, ist ihr sichtlich unangenehm. Pflege ist eine sehr intime Angelegenheit. »Man braucht ganz viel Einfühlungsvermögen«, erklärt Ina Bungard, »und Respekt vor dem Menschen.« Die Frau beklagt sich, dass ihre Enkelin sich seit vier Tagen nicht mehr hat blicken lassen – ihre einzige noch lebende Verwandte. Das Gefühl von Einsamkeit im Raum ist förmlich zu spüren. Ina Bungard verweilt ein wenig länger. Dem Zeitplan hinkt sie spätestens jetzt hinterher. »Aber Gespräche sind manchmal wichtiger als Pillen«, so ihre Überzeugung.

Viele ihrer Patienten sind zwischen 80 und 90, meist Frauen. Manchmal erzählt sie von ihren beiden Kindern oder dem, was in Rösrath so los ist, Tagesneuigkeiten von der Alltagswelt. Sie gibt den hilfsbedürftigen Menschen das Gefühl, weiter am Leben draußen teilzunehmen. Und doch ist klar: Verwandte und Freunde kann sie nicht ersetzen. »Es ist gefährlich im Beruf, wenn man nicht eine gewisse professionelle Distanz bewahrt, sonst geht man kaputt.«

9.49 Uhr. Vier Patienten und etliche Autokilometer später. Die 90-Jährige hat es sich bei Kerzenlicht gemütlich gemacht. Sie erhält von Ina Bungard ihre Medikation. Doch das ist heute nicht alles. Der Sohn, der  lebt im Ausland und macht sich Sorgen um seine Mutter, die ungern etwas von ihrer Unabhängigkeit verlieren möchte und sich gegen weitere Hilfe sträubt. Ina Bungard versucht ihr die Ängste des Sohnes nahezubringen, seine Furcht, die Mutter könnte beim Duschen stürzen, und erklärt die weiteren Unterstützungsmöglichkeiten durch die Diakonie-Sozialstation.

10.35 Uhr. Zwei Patienten später. Sie ist noch gar nicht so alt, hat Krebs, nach einem Not-Eingriff macht die große Bauchnaht auch zwei Wochen nach der Operation immer noch  Probleme. Während der Wundversorgung  schaut die Patientin auf einen Punkt irgendwo in der Ferne. Scham und Schock, diese Gefühlszustände kann man in ihrem  Gesicht ablesen, während Ina Bungard ganz vorsichtig und sanft ihre Arbeit macht.

Das Sterben gehöre auch zu ihrem Beruf, sagt Ina Bungard bei der Rückfahrt zur Diakonie. Sie habe es schon erlebt bei Menschen, die sie lange gepflegt habe, sagt sie. »Trotzdem bin ich ein fröhlicher Mensch.« Und: »Ich liebe meinen Beruf, weil ich mich freue, wenn ich anderen helfen kann.« 

11.15 Uhr. Wieder in der Diakonie.  Ina Bungard  hat an diesem Morgen 14 Patientinnen betreut. Jetzt wartet noch die ganz normale Pflege- und Krankenkassenbürokratie auf sie. (Sigrun Stroncik)