Christine Hühne

Rösrath liest

Christine Hühne

Die melodische Sprache und der magische Realismus haben sie zu den Südamerikanern wie Marquez und Allende geführt. Aber Hühne erwärmt sich auch für Sozialkritisches. »Eine echte Leseratte war ich nicht«, bekennt die pensionierte Sonderschul-Pädagogin und Künstlerin, »aber ich lese regelmäßig.« Hühne ist in der DDR aufgewachsen und kurz vor dem Mauerbau in den Westen gekommen. Als Jugendliche mochte sie Novellen von Maupassant und Kleist. Einmal hat der Vater ihr ein Bändchen mit dem Titel »Novellen der Leidenschaft« geschenkt. Bei ihrer Mutter kam das gar nicht gut an. »Sie war empört und fragte, wer mir solch unsittliches Zeug mitbringt«, lacht Christine Hühne noch heute.

In der DDR kauften die Jungen in den 50er-Jahren unter dem Ladentisch Karl May, der verboten war, und die Mädels wie Hühne gerne mal »Das Kränzchen«. »Ein altes Zeitschriftenformat für höhere Töchter, mit romantischen Liebesgeschichten, total konservativ«, erinnert sich Hühne – so ging eben auch Opposition im Arbeiter- und Bauernstaat. Ansonsten verlässt sie sich bei der Auswahl ihrer Lektüre meist auf ihren Mann, und am liebsten schmökert sie im Bett. Dann kann es auch schon mal sehr spät werden, wenn es sie so richtig gepackt hat.

Packend, der Begriff passt auch zum Buch, das sie vorstellt: Die Nonnen von Sant'Ambrogio, geschrieben vom Vatikankenner und Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Wer hier gleich befürchtet, langweilige Erbauungsliteratur vor sich zu haben, den kann Hühne sofort beruhigen. Es geht um Mordanschläge, Sex und Missbrauch in einem Franziskanerinnen-Konvent in Rom, und das im 19. Jahrhundert.

Eine wahre Geschichte, die Wolf aus den Inquisitionsprozessakten des Vatikans rekonstruiert hat und spannender ist als so mancher Krimi. »Die verwitwete deutsche Prinzessin Katharina von Hohenzollern will sich von der Welt zurückziehen. Sie kommt im Kloster Sant’ Am­brogio unter und fühlt sich zunächst gut aufgehoben«, erzählt Christine Hühne. »Doch so nach und nach entpuppt sich das Kloster als Tollhaus.« Das liegt an der stellvertretenden Klostervorsteherin Maria Luisa, die sich auch zur Novizenmeisterin aufschwingt. »Sie fordert absoluten Gehorsam von den teils ungebildeten Novizinnen, benutzt ihr Amt, um sich junge Nonnen zu nehmen. Und sie gibt vor Visionen zu haben«, erzählt Hühne. Alles sei göttlicher Auftrag, Religion als Machtinstrument.

Was sich unter der Herrschaft dieser Nonne abspielt, wird später durch die Inquisition zutage gebracht: Mord, Vergiftungsanschläge, lesbische Sexualität, Missbrauch an Mädchen, Beischlaf mit Beichtvätern. »Katharina als gebildete Frau durchschaut die Vorgänge im Kloster, informiert aber ausgerechnet den Beichtvater, einen Jesuiten, der darin verwickelt ist«, erzählt Hühne weiter.

Dieser Jesuit, der ein Doppelleben führt, informiert die Novizenmeisterin. »Auf Katharina werden daraufhin Giftanschläge verübt, denen sie nur knapp entkommt. Sie kann aus dem Kloster flüchten und bringt den Prozess in Gang, der aber nicht in der Öffentlichkeit stattfindet«. Die Drahtzieherin Maria Luisa wird hart bestraft, das Kloster aufgelöst.

Die Männer kommen milde davon, vor allem der ranghohe Jesuit und Beichtvater. »Es ist wie immer, die Großen lässt man laufen. Das Ganze ist spannend erzählt, man ist nah dran an den Verhören und Prozessaussagen. Und es zeigt, dass es Mut und einen eigenen Kopf braucht, wie ihn Katharina hatte, um so einem geschlossenen System von gegenseitigen Abhängigkeiten zu entkommen«, resümiert Christine Hühne. (Sigrun Stroncik)