Walter Matheisen

Rösrath liest

Walter Matheisen

Das genussvolle Lesen findet wie bei jedem anderen in der Freizeit statt, auf Sofa oder Stuhl, im Sommer auf dem Balkon und am liebsten früh am Tag. Und dennoch, wer über 40 Jahre Bibliothekar ist und die Stadtbücherei mit aufgebaut hat, findet den Geruch und das Geraschel von Buchseiten natürlich besonders anregend, fühlt sich einfach sauwohl in einer Bibliothek.

Schon als kleiner Junge war Walter Matheisen in Köln-Mülheim eifriger Kunde einer Leihbücherei, las gerne Abenteuerliches oder Gruseliges und wollte schon mit sechs Jahren Bibliothekar werden, was er dann über einige Umwege auch wurde.

Bücher, die er privat liest, »müssen Spaß machen, mir einen Erkenntnisgewinn geben, mich entspannen oder auch anspannen und etwas mit mir zu tun haben«, sagt Matheisen. Was alles auf das Buch zutrifft, das er vorstellen will: Der Distelfink, geschrieben von der US-Autorin Donna Tartt. Es ist ein durchaus episches Werk von über 1000 Seiten, das 2014 mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. »Ich bin in dieses Buch ganz schnell versunken, was mir schon lange nicht mehr passiert ist«, bekennt der Bibliothekar. Die Hauptfigur des Romans heißt Theodore Decker, ein Amerikaner, Mitte 20. Dieser Theo erzählt, wie es dazu kam, dass er sich an einem verschneiten und kalten Weihnachtstag in einem Amsterdamer Hotel verbarrikadiert hat. Er lässt in Rückblenden sein bisheriges Leben Revue passieren.

Bei einem Terroranschlag im New Yorker Metropolitan Museum verliert der 13-jährige Theo seine Mutter. Zuvor haben sich beide das berühmte Gemälde »Der Distelfink« vom Vermeer-Lehrer Carel Fabritius angesehen.

Auf dem A4-großen Gemälde ist ein Distelfink zu sehen, der auf einer kleinen Stange sitzt und angekettet ist. Fabritius hat es nur eine Woche vor seinem Tod durch eine Explosion gemalt. Die Autorin Donna Tartt interpretiert dieses Gemälde als Selbstbildnis von Fabritius: die gezähmte, wilde Kreatur als Sinnbild der menschlichen Existenz, so empfindet es Walter Matheisen. »Theo entdeckt inmitten der Trümmer ein rothaariges Mädchen, Pippa, das die Liebe seines Lebens wird; und ein sterbender alter Mann fordert ihn auf, das Bild vom Distelfink in Sicherheit zu bringen.« Das Bild behält der Junge schließlich bei sich und irgendwann ist die Chance verpasst, es zurückzugeben. Halbwaise, die er nun ist, wird der Teenager zunächst von den Eltern eines Schulfreundes aufgenommen. »Es entfaltet sich vor uns die intellektuelle Welt der reichen New Yorker Upper Class«, so Matheisen. Dann taucht Theos verschollener Vater plötzlich auf und nimmt ihn mit nach Las Vegas, »in die grelle Welt der Zocker und Spieler«. Dort lernt er Boris kennen, einen Jungen aus der Ukraine. Sie rauchen, trinken, klauen und reden dabei über die Bücher, die sie lesen. Als der Vater tödlich verunglückt, kehrt Theo nach New York zurück und lernt in einem Geschäft für Kunst und Antiquitäten alles über Original und Fälschung. Dabei verstrickt er sich selbst in illegale Machenschaften. Irgendwann bemerkt er schließlich, dass ihm der Distelfink gestohlen wurde. Und so macht sich Theo nach Amsterdam auf, um dieses Gemäl-de wiederzubekommen, das ihm so viel bedeutet.

»Das ist wunderbar erzählt in einer fantastischen und präzisen Sprache, mit der die Autorin Bilder und Stimmungen schafft. Dazu ist das Ganze spannend, witzig und tiefsinnig zugleich. Ein Entwicklungs-, Bildungs- und Kriminalroman in einem«, so das Urteil von Walter Matheisen. (Sigrun Stroncik)

Der Distelfink.
Roman von Donna Tartt, erschienen im Goldmann-Verlag. Gebundene Ausgabe, 1024 Seiten für 24,99 Euro in der Buchhandlung Till Eulenspiegel in Hoffnungsthal