Mit dem Krebs leben lernen
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Vinzenz Pallotti Hospital

Mit dem Krebs leben lernen

»In meiner Praxis erlebe ich, dass fast alle Patienten zunächst von einer Schockreaktion bei der Diagnosestellung und einem Nicht-wahrhaben-Wollen des Krebses berichten«, sagt Sabine Fischer-Susan. Die psychologische Psychotherapeutin behandelt als Psychoonkologin Krebspatienten im VPH, die eine psychologische Erstversorgung benötigen oder auch langfristig Hilfe brauchen. »In jedem Fall ist der Betroffene meist gezwungen, sich schnell seiner Situation anzu­passen. Denn nach der Diagnose folgt häufig sofort die Behandlung in Form von Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie. Und der Patient hat nicht wirklich die Zeit, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Dann bin ich für ihn da.«

Jeder Patient reagiert anders auf seine Erkrankung. Daher gebe es in der Psychoonkologie auch nur individuell abgestimmte Begleitungen, sagt die Expertin. Ein aktives Bewältigungsverhal-ten – beispielsweise eine kämpferische Einstellung, Lebenswille, die Mitarbeit an erforderlichen Therapiemaßnahmen, intensiveres Leben im Jetzt, eine gesunde Lebensführung – scheine mit besseren Überlebenschancen verknüpft. »Resignation und Apathie dagegen sind genauso ungünstig wie Überbeschäfti­gung, die eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Tumor bedeuten kann.«

Natürlich sei jede Krankheitsverarbeitung auch prognoseabhängig: Patienten mit einer günstigen Prognose verarbeiteten ihren Krebs zweifelsohne leichter als Patienten in der akuten Behandlungsphase. Dann aber könne Vertrauen in die ärztliche Kunst und den behandelnden Onkologen für einige Patienten eine große Unterstützung sein, um das Gefühl der Hilflosigkeit zu reduzieren und weniger Stress oder Angst zu erleben. Andere brauchten genau das Gegenteil: nämlich eine Zweitmei­nung, die ihnen ein Gefühl der Kontrolle wiedergibt und dadurch beruhigend wirkt. »Manche Patienten können mir sogar die genaue Zusammensetzung ihrer Chemotherapie erklären, weil sie vieles hinterfragen und sich alle dafür nötigen Informationen einholen«, berichtet Fischer-Susan. Schwierig werde es, wenn die Erkrankungssituation verleugnet würde, was nicht selten zum Therapieabbruch führe. »Wieder an­dere Patienten öffnen sich psychologischen Maßnahmen erst, wenn die medizinische Behandlung abgeschlossen ist, nehmen dann aber eine ambulante Psychotherapie in Anspruch.«

Ein Ziel der Psychoonkologie ist die Wiederaufnahme von »Normalität«: in den Alltag zurückzufinden, die Berufstätigkeit wiederaufzunehmen und mit möglichen körperlichen Einschränkungen leben zu lernen, wie zum Beispiel mit einer begrenzten Leistungsfähigkeit nach einem Fatigue-Syndrom oder mit einem Stoma, mit einer veränderten Sexualität nach einer Prostataoperation oder einer Brustamputation. Befürchtungen zu Ende zu denken, aber auch detailliertes Wissen über die Erkrankung und Hinweise über das, was man selber tun kann, alles das hilft gegen Ängste – ebenso wie Kreativität: schreiben, malen, singen. »Auch wer sich bewusst an schwierige Situationen erinnert, die er bereits bewältigt hat, kann das Vertrauen in die eigene Kraft stärken«, sagt Fischer-Susan. »Oder er lernt, den guten Seiten des Lebens mehr Gewicht zu geben und im Hier und Jetzt zu leben, nach sinnvoller Beschäftigung zu suchen und sich daran zu erfreuen, was noch geht, und weniger zu sehen, woran der Krebs einen hindert.« Ganz am Ende gehe es auch darum, die Angst vor dem Sterben zu nehmen. »Vor allem aber zeigt sich bei meiner Arbeit immer wieder, dass die Vorstellung darüber, was eine gute Krankheitsverarbeitung ist, sehr verschieden sein kann: beim Patienten, den Angehörigen, dem Arzt, der Pflegekraft oder auch bei dem behandelnden Psychologen.« (Beatrice Tomasetti)