Wir fahren mit der Kutsch

Wanderung sechster Teil

Wir fahren mit der Kutsch

Claus Ihm erwartet uns am Hoffer Hof, dem Ausgangspunkt unserer Stadtfahrt. Seine beiden Percherons Kim und Max, französische Edelkaltblüter, warten geduldig auf ihren Einsatz, während sie mit ihren dichten Schweifen die Insekten vertreiben.

Bevor wir loszuckeln, begrüßt uns Ralf Müllenbach im denkmalgeschützten 300 Jahre alten Anwesen der Kornbrennerei Hoffer Alter. Hier pflegt man seit 1880 die Kunst des Kornbrennens.  Der Privatier im Unruhestand kredenzt uns zur Stärkung bergischen Korn aus eigener Herstellung und leckere Schmalzbrote.

Wir erklimmen die dunkelblau lackierte Kutsche und lehnen uns in die weichen Polster aus rotem Samt. Ein wenig fühlen wir  Frauen uns »underdressed«. Ein langes cremefarbenes Kleid, ein breiter Hut und Sonnenschirmchen hätten besser gepasst als unser eher sportives Outfit.

Weich gefedert rollen wir durch die sonnige Landschaft und fühlen uns ein wenig wie die Queen, nur ohne Parade. Die zwei Tonnen Pferd am Zügel lenkt Claus Ihm, der nicht nur Kutsch- und Planwagenfahrten, sondern auch Fahrlehrgänge anbietet, mit Konzentration, Fingerspitzengefühl und Kraft über die Hoffer Hofer Straße nach Hoffnungsthal. Trotz ihrer massigen Körper sind die Bewegungen von Kim und Max elegant und wohlüberlegt. Uns überholen ohne jede Anstrengung Radfahrer, ja sogar  Fußgänger. Das Tempo der Autos erscheint von der Kutsche aus gesehen fast schon irrwitzig. Links und rechts gleiten langsam die Häuser vorbei, Leute grüßen, wir grüßen zurück. Wer sich auf eine Kutschfahrt einlässt, sollte Zeit haben und die Langsamkeit genießen.

Am Rosa Rathaus geben sich Altbürgermeister Dieter Happ und der aktuelle Amtsinhaber Marcus  Mombauer fast die Klinke in die Hand, Letzterer darf Probe sitzen. Als Dienstfahrzeug scheint uns das betuliche Gefährt eher ungeeignet – ist doch Rösraths »Erster Bürger« eher flott unterwegs.

Während wir den Verkehr vor dem Rathaus aufhalten, wird noch schnell Reiseproviant gebunkert. Stephan Müller, Besitzer von Café Rosenow bringt aus seiner Dependance Le Frappé dampfenden  Kaffee und frische Croissants, sozusagen »to roll« an unsere Kutsche.

Im Schritttempo nähern wir uns Volberg, dem malerischen Ensemble aus Sakralbau, Pfarr-, Baumhofs- und Küsterhaus und haben genug Muße, 1000 Jahre Geschichte auf uns wirken zu lassen. Das Tempo mit gut sechs Kilometern pro Stunde geben die Pferde an. Es schaukelt sanft, die Hufe klappern, die Räder knarzen, das Herz wird leicht.

So kommod hatten es Goethe und Mozart, die ihr halbes Leben in Postkutschen verbrachten, eher nicht. Die Wege damals waren schlecht, die Sitze hart, die Räder ungefedert. Reisen war ein Abenteuer und selbst kleine Strecken brauchten enorm viel Zeit. Die Welt muss den Menschen damals viel größer erschienen sein als heute, wo Räume und Entfernungen durch die Schnelligkeit unserer Fortbewegungsmittel schrumpfen.

Wir blicken hinunter zum Schloss Venauen, erhaschen eine Impression der schönen weiß-grünen Jagdvilla und zuckeln der Neuzeit entgegen. Lidl links, rechts der neue Park-and-Ride-Platz des Rösrather Bahnhofs. Es geht hinunter nach Schloss Eulenbroich, dem früheren barocken Herrensitz und heutigen kulturellen Zentrum der Stadt Rösrath. Leider können wir  nicht stilgerecht auf den Hof rollen, denn hier wird für  das Projekt KennenLernenUmwelt im Rahmen der Regionale 2010 neu gebaut und das Schloss einer umfangreichen Sanierung unterzogen. Die nahe gelegene »Klostermühle« schlummert davon gänzlich unberührt in der Mittagszeit. Heute ein gut besuchtes Restaurant, gehörte das Gebäude früher zum Augustinuskloster. 1981  wurde sie vom Standort am Mühlengraben hinter Sankt Nikolaus von Tolentino abgetragen und vor dem Schloss Eulenbroich wieder aufgebaut. Die Pferde kümmern sich nicht um Geschichte und ziehen uns kräftig wieder die Hauptstraße hinauf. 

Langsam und sicher suchen sich Kim und Max ihren Weg durch den dichten Rösrather Straßenverkehr und halten Kurs auf Scharrenbroich und die Dorfschänke. Die alte Schmiede aus dem 19. Jahrhundert, die heute noch eine Bauschlosserei beherbergt, lassen wir rechts liegen. Kurz dahinter machen die beiden Kaltblüter eine Kehrtwende auf kleinstem Raum, um schließlich Rambrücken entgegenzustreben, vorbei an Wiesen, Wald  und Sülz. Und dann wird unsere Stadt- auf einmal zur Landpartie. Wir kreuzen durch das Gammersbacher Tal, das bei unserer letzten Frühjahrswanderung fast noch im Winterschlaf verharrte. Jetzt ist hier die Natur richtig gehend explodiert. Die Bäume am mäandernden Gammersbach tragen inzwischen saftiges Grün. Im Schritttempo nähert sich die Kutsche heimatlichem Terrain. Wir sind in der Gammersbacher Mühle, die aus dem 17. Jahrhundert stammt und heute ein beliebtes Ausflugsziel ist, angekommen.

Kim und Max werden ausgespannt und machen Pause. Neben ihnen stehen zwei imposante bretonische Pferde, deren riesige lange Mähnen gerade gekämmt werden. Denn Peter und Paul, so heißen die beiden Schimmel, müssen gleich eine Hochzeitskutsche ziehen und dazu brauchen sie eine »anständige Frisur«.

Während unsere beiden Zugpferde schon dem wohlverdienten Futtertrog entgegenstreben, beschließen wir unsere Ausfahrt mit einer zünftigen Bratwurst, eigenhändig serviert von Claus Ihm. (Sigrun Stroncik)