Geschwister Rezaie in Hoffnungsthal

Neue Heimat

Geschwister Rezaie in Hoffnungsthal

Auf dem Tisch in ihrer kleinen Hoffnungsthaler Wohnung liegt das Buch »Bittere Orangen« über ein Palästinenser-Schicksal – der aktuelle Lesestoff von Sohaila, der ältesten der drei Geschwister. Keine leichte Kost für jemanden, der erst seit einem Jahr Deutsch lernt, aber die 25-Jährige legt die Messlatte hoch. Sie hat in Afghanistan – laut einer Studie das gefährlichste Land für Frauen weltweit – ihren Schulabschluss gemacht und Wirtschaft studiert. Nicht gerade der übliche Werdegang für ein Mädchen aus einem afghanischen Dorf, wo Frauen das Haus nur komplett in die Burka gehüllt verlassen dürfen und Zwangsheirat an der Tagesordnung ist. »Meine Eltern dachten etwas freier, das war mein Glück«, sagt sie.

Auch Zahra, 20, hat ihren Schulabschluss gemacht, gelernt hat sie, wie ihre Schwester, immer zu Hause, weil es für Mädchen zu gefährlich ist, draußen unterwegs zu sein. Sich mit Freundinnen treffen, Fahrrad fahren, schwimmen gehen war für sie unmöglich. »Ich habe das Haus fast nie verlassen. Ich hatte immer Angst, belästigt zu werden.«

Doch auch im eigenen Zuhause waren die Geschwister nicht mehr sicher: Vor einem Jahr beschlossen die Männer des Dorfes, beide Schwes­tern an einen Cousin des Onkels zu verheiraten. »Unsere Eltern konnten nichts dagegen tun und unser Bruder, der uns schützen wollte, wurde von der Familie des Onkels bedroht«, erzählen die Schwestern. Sie entschlossen sich zur Flucht nach Europa. »Wir dachten: Dort können wir uns frei bewegen, dürfen lernen und selbst über unser Leben bestimmen.«

Einen Monat lang waren sie unterwegs, reisten mit dem Bus, zu Fuß und dann per Boot von der Türkei nach Griechenland. »Wir waren 60 Leute in einem kleinen Schlauch­boot. Die ganze Zeit haben wir mit unseren Schuhen das Wasser rausgeschaufelt. Wir hatten große Angst«, erzählt Sohaila.

Im Erstaufnahmelager Venauen lernte die Familie die Rösratherin Gina Hill kennen: Sie kümmert sich seitdem mit viel Engagement um die jungen Leute, unterstützt sie bei Behördengängen und der Suche nach einem Ausbildungsplatz. »Die drei sind mir gleich aufgefallen, sie wirkten offen und selbstbewusst und wollten hier möglichst schnell Fuß fassen.« Die Bilanz nach einem Jahr ist beeindruckend: Alle drei spre­chen bereits passabel Deutsch, Sohaila beginnt in Kürze eine Aus­bildung als Altenpflegerin, der 22-jährige Ali hat einen Ausbildungsplatz in einer Lackiererei, Zahra wird demnächst ein Praktikum im Krankenhaus machen, sie möchte Krankenschwester werden. In ihrer freien Zeit neben dem Deutschunterricht und den Hausaufgaben übt sie täglich auf einem gebrauchten Keyboard, malt – und fährt mit dem Fahrrad, wohin sie will.

Freiheit eben. (Eva Richter)

Info. Wer die jungen Flüchtlinge, die ihre Sprachkurse selbst finanzieren müssen, unterstützen möchte, kann sich an Gina Hill wenden: info(at)littleengland.de