Markus Walther

Rösrath liest

Markus Walther

Kalligrafie, die Kunst des Schönschreibens von Hand mit Federkiel, Pinsel oder anderen Schreibwerkzeugen, war in der abendländischen mittelalterlichen Kultur übrigens die einzig bekannte Form der Literaturübermittlung. Vielleicht ist es also kein Zufall, dass sich Markus Walther nicht nur für Schriften, sondern auch fürs Bücherlesen interessiert. »Ich mag es dabei intelligent, süffisant, unterhaltsam, aber nicht platt.« Als Teenager begeisterte er sich für Stephen King – »Damals war es cool, gruselige Sachen zu lesen« – bis ihn Tolkien und Michael Ende zur Fantasy-Literatur brachten und schließ­­­lich zum Großmeister der Gattung: Terry Pratchett. »Mir gefällt der feinsinnige Humor, der für dieses Genre durchaus unüblich ist. Außerdem sind seine Romane gehaltvoll, weil hinter den Handlungssträngen immer ein Subtext mitge­lesen werden kann«, urteilt Markus Walther.

Der Brite Pratchett, der 2015 starb, hat eine große weltweite Fangemeinde, die er den 41 Scheibenwelt-Romanen verdankt. »Die Geschichten dieser Reihe spielen auf der Scheibenwelt, die flach ist und von vier Elefanten getragen wird, die ihrerseits auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte stehen, welche durch das Weltall rudert«, erklärt der ausgewiesene Scheibenwelt-Fan und -Kenner Walther. »Dabei parodiert Pratchett nicht nur Mythen und Märchen, sondern stellt immer auch Bezüge zu unserer Welt her.« Themen wie Bankenkrise, Politik, Religion, Philosophie oder Krieg werden mitgedacht.

Markus Walther will jetzt aber keinen dieser Scheibenwelt-Romane vorstellen, sondern ein Alterswerk von Pratchett, zum Hineinschnuppern in die Welt des Autors. Der Roman Dunkle Halunken spielt im viktorianischen England. »Hauptfigur ist ein armer junger Mann namens Dodger, der in den Abwasserkanälen Londons nach allem fischt, was er irgendwie noch verwer­ten kann. Als er eines Abends einer jungen Frau, die von mehreren Männern bedroht wird, das Leben rettet, verändert sich sein eigenes Leben von Grund auf.« Dodger macht Bekanntschaft mit Henry Mayhew und Charles Dickens, die sich der beiden annehmen. Die Frau, Simplicity genannt, darf sich bei Familie Mayhew erholen, während Dodger mit den Nachforschungen beginnt. Bei seinen Ermittlungen, die ihn bis in höchste Kreise führen, trifft er immer wieder auf reale Personen. Neben Dickens und Mayhew ist das zum Beispiel Robert Peel, Begründer der modernen Polizei in London, oder der Politiker Benjamin Disraeli. Schließlich bringt Dodger ganz nebenbei einen mörderischen Barbier namens Sweeney Todd zur Strecke und wird dadurch zum Helden von London. Mit Glück, Verstand und durch Zufälle begünstigt »stolpert er dabei in der englischen Klassengesellschaft von ganz unten nach ganz oben«, erzählt Markus Walther. Pratchett nimmt den Leser mit in eine historische Zeit, die unter Queen Victoria gar nicht malerisch und romantisch war, in der viel mehr Armut und Ausbeutung vorherrschten.

Sozialkritik ohne erhobenen Zeigefin­ger. Eine Mischung aus historischem Roman, Krimi, Komödie und Gesellschaftsstudie a la Dickens’ Oliver Twist. »Das alles ist mit viel Wortwitz, wunderbaren Dialogen und britischem Humor geschrieben«, sagt Walther. »Für mich ist es ein Buch, das gute Laune macht. Die sympa­thische Hauptfigur zeigt, dass man in einer Scheißsituation stecken und trotzdem wieder vom Fleck kommen kann, auch wenn alles zunächst ausweglos erscheint.« (Sigrun Stroncik)

Terry Pratchett
Dunkle Halunken
Roman, erschienen im Piper Taschenbuch Verlag. 384 Seiten, für 9,99 Euro im Rösrather Buchhandel