Hannes Lorenz

Steintürme, die Geschichten erzählen

Hannes Lorenz

»Andere sammeln Pilze, ich gehe in die Steine«, beschreibt der im schwäbischen Weil im Schön­buch geborene Wahl-Rheinländer seine Leidenschaft. Im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze so richtig Bewe­gung ins Wasser bringt, ist Erntezeit – an Agger und Sieg, am Rhein und in der Toskana am Po. »Hier gibt es Steine wie Boulekugeln«, schwärmt Lorenz. Mit dem besonderen Blick und so etwas wie einem siebten Sinn findet er auch auf Schrottplätzen, im Sperrmüll und beim Wandern Kostbarkeiten wie Rosenquarze, wertvolle Porzellanscherben, unversehrte Zie­gel und Platten. »Wenn ich dann sortiere und baue, bin ich aus der Uhrzeit rausgenommen«, beschreibt er den Schaffensprozess. Mit Akribie, physikalischem Verständnis und der ihm eigenen Ästhetik türmt er Stein auf Stein, nach oben verjüngt, Trasszement als Kitt, mit Öffnungen und Landeplätzen für Vögel und Insekten, immer im Einklang mit der Natur. »Kunst und Können gehören bei mir schon zusammen«, betont der Freigeist. So ein Bau kann deshalb zwei Monate oder Jahre dauern. Ob ein Turm fertig ist, erkennt man an der Spitze, die dann mit einer Platte oder auch dem Glaskorken einer Likörflasche »verschlossen« ist.

Eines seiner bekanntesten Werke entstand im Rahmen von »Rösrath wird zur Galerie«: die drei Sonnenfin­ger in Kleineichen. Mehr als 200 Rösrather brachten Lorenz ihre Steine, flache, runde, kantige, große, kleine – vom Lüderich, aus dem heimischen Garten, dem Himalaya oder den Alpen. Und mit jedem Stein vertrauten ihm die Menschen auch Geschich­ten an, die den Künstler bis heute berühren. »Der Stein löst die Zunge und öffnet die Herzen«, erlebt er immer wieder. Für ihn ist der Steinturm Sinn­bild des Lebens, »so stabil und doch so fragil«. Es gibt Licht, Durchblicke, einen Anfang und ein Ende. Das, so Lorenz, spürten auch die Betrachter und Menschen, die ihm für den Bau einer Erinnerungsstätte am Friedhof Sommerberg persönlich bedeutsame Steine brachten.

Wenn Lorenz seine Steine – fein säuberlich nach Größe, Haptik und Farbe sortiert – mal liegen lässt, geht er seiner zweiten künstlerischen Leidenschaft nach und verfasst Texte. Gedichte, Kurzgeschichten, inspiriert von der Natur und den Begeg­nungen mit Menschen. Vor dem Wort steht allerdings das Schweigen. Stundenlang geht er spazieren, mit Notizbuch in der Tasche. »Die Texte nehmen den Rhythmus des Gehens auf«, beschreibt der gelernte Buchhändler die Entstehung. Diese bringt er nicht nur zu Papier, sondern er liest und erzählt auch vor Publikum. Schon als Jugendlicher und später als Leiter einer Behinderteneinrichtung habe er sich »vollgesogen mit Büchern«.

Heute hat Lorenz, der auch Aufträge annimmt, sein Hobby zum Beruf gemacht und verzaubert Gäste mit Worten oder wortlos, beim gemeinsamen Blick von Steinturm zu Steinturm, gen Himmel und Sonne. (Petra Stoll-Hennen)