Seit 100 Jahren das Land vermessen
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Geodäten berichten über Beruf im Wandel der Zeiten

Seit 100 Jahren das Land vermessen

Vom Messband zur Totalmessstation
Eine Geschichte, die zugleich den spannenden Wandel eines Berufsbildes dokumentiert. War Christian Heibach vor hundert Jahren noch zu Fuß und mit dem Fahrrad, beladen mit vielen Gerätschaften, in Rösrath unterwegs, arbeiten die Vermessungsingenieure Stefan Hartmann und Thomas Ruhe heute satellitenunterstützt mit dem Laptop. Ihr Einzugsgebiet hat sich bis Düsseldorf und ins Bergische Land hinein erweitert. »Messbänder und die klassischen rot-weißen Flucht­stäbe gehören eher der Vergangenheit an, heute nutzen wir Satellitenpositionierung und Totalmessstationen. Die Messgenauigkeit liegt dabei mittlerweile im Millimeter-Bereich«, erklärt Stefan Hartmann, seit 2001 Nachfol­ger von Manfred Zimmer­mann als »öffentlich bestellter Vermessungsingenieur«. Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure sind vom Land beliehene Personen, die die Aufgaben des amtlichen Vermessungswesens wahrnehmen.

Pläne werden heutzutage nicht mehr aufwändig mit Tusche auf Papier gezeichnet, sondern am Computer erstellt, Daten per Mail versendet und nicht mehr mühevoll kopiert. Das spart Zeit, doch ist vieles kleinteiliger geworden, und es müssen deutlich mehr Auflagen berücksichtigt werden. »Früher wurden Baumaßnahmen in einfachen Lageplänen dargestellt, heute erfolgt das viel differenzierter – mit Angaben zu Pkw- und Fahrradstell­plät­zen, Müllstandorten, Baumanpflanzungen oder dem Abstand zum Nachbarn«, so Hartmann.

Neues Aufgabenspektrum
Auch das Aufgabenspektrum hat sich verändert. »Es gibt in Rösrath zum Beispiel kaum noch Baugrundstücke. Die letzten 15 Jahre waren vor allem geprägt vom Aufteilen von Baugebieten«, ergänzt Thomas Ruhe, der 2004 als Vermessungsingenieur Klaus Töpfer nachfolgte. So erstellt das Vermessungsbüro beispielsweise bei einem Neubau einen Lageplan als Planungsgrundlage, mailt diesen an den Architekten, der auf dieser Basis das Bauvorhaben entwirft. Nach Eintragung des Bauvorhabens durch das Vermessungsbüro ist der Lageplan zum Bauantrag fertig. »Das gemein­same Arbeiten von Vermessern, Architekten und anderen Ingenieuren im gleichen Datensystem spart viel Zeit und erlaubt größere Genauigkeit.«

Etwas pionierhafter ging es da in der Ära der beiden Landmesser Zimmermann und Töpfer zwischen 1965 und der Jahrtausendwende zu. Neben dem Gewerbegebiet Scharrenbroich, dem Lindlarer Freilichtmuseum und dem Schlosspark Bensberg waren sie auch bei größeren Bauwerken wie der neuen Hauptverwaltung der Bayer AG in Leverkusen oder dem Bahnhof der DB im Flughafen Köln-Bonn im Einsatz. »Unsere Haupttätigkeiten waren Grundstücksvermessungen, Aufteilungen von Siedlungsgebieten oder Flurbereinigungen«, so Töpfer. Für großflächige Planungsvorhaben – zum Beispiel Bebauungs­pläne – organisierte das Büro die Erstellung und Auswertung von Luft­bildern mit Hilfe der Photogrammetrie-Abteilung der Rheinbraun Köln.

Pioniereinsatz im Osten
Ein besonderes Highlight war der Auftrag eines deutschen Industriekon­zerns in der damaligen Sowjetunion. »Wir wurden im südlichen Ural eingesetzt, um dort die von russischen Firmen errichteten Grundfundamente für eine Gasreinigungsanlage aufzumessen und zu dokumentieren«, erzählt Manfred Zimmermann. Nach der Wende 1989 kam eine neue, große Aufgabe auf die beiden Rösrather Ingenieure zu. In den 90er-Jahren waren sie viel in den ostdeutschen Bundesländern unterwegs, um dort bei amtlichen Vermessungsarbeiten auszuhelfen. »Das war so, als würde ein Landvermesser 30 Jahre zurückver­setzt – Vermessungen an Grund und Boden waren in der ehemaligen DDR nämlich so gut wie gar nicht vorhanden«, erinnert sich Zimmermann.

Seitdem hat es große technische Entwicklungen gegeben, die Landvermessung ist digital geworden. »Wir Geodäten sind so etwas wie die Miterfinder der Digitalisierung«, meint Zimmermann augenzwinkernd. Schon in den 80er-Jahren begannen die Vermessungsverwaltungen der Bundesländer, die vorhandenen analogen Kartenwerke in digitale Formate umzuwandeln. Statt Kartenschränken mit wertvollen Originalen gibt es mittlerweile Festplatten mit Millionen von Datensätzen. Größere oder schwer zugängliche Gebiete werden heutzutage mit Drohnen überflogen und vermessen, auch 3-D-Laserscanner werden eingesetzt.

Doch aller Digitalisierung zum Trotz, zum Spaten greifen Hartmann und Ruhe auch heute noch gelegentlich – zum Beispiel, wenn es darum geht, alte Grenzsteine ausfindig zu machen. Oder wenn neue Grenzabmarkungen mit Muskelkraft in den Boden eingebracht werden müssen. »Nach wie vor sind wir als Vermesser sehr viel draußen unterwegs«, so Ruhe, der gerade die Abwechslung von Büroarbeit und Outdooraktivität in seinem Beruf schätzt.

Grenzstreit schon um Zentimeter
Immer wieder haben die beiden Vermessungsingenieure mit Grenzstreitigkeiten zu tun, sie erstellen auch Grenzgutachten. »Da streiten sich Nach­barn manchmal wirklich um Zentimeter«, sagt Ruhe. »Ich empfehle dann meistens mit dem Nachbarn bei einer Flasche Wein darüber zu sprechen.« Das funktioniere allerdings nicht immer. Dann ist die Schlichtungs­kompe­tenz des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs gefragt.

Über Nachwuchssorgen kann das Vermessungsbüro nicht klagen. »Wir bieten regelmäßig Ausbildungsstellen für Vermessungstechniker an und haben auch immer Interessenten«, so Ruhe. Wer in dem Bereich arbeiten will, muss ein gutes mathematisches Verständnis und räumliches Vorstellungsvermögen besitzen, technikaffin sein, sollte keine Angst vor juristischen Texten haben, körperlich fit sein und auch Spaß an der Arbeit an frischer Luft haben. Die Jobaussichten seien gut, sagt Ruhe – »denn eigentlich hat alles, was wir sehen, mit Vermessung zu tun«. (ER)

Dipl.-Ing. Stefan Hartmann und Dipl.-Ing. Thomas Ruhe
Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure
Hauptstraße 171 A
51503 Rösrath
02205 92640