Jochen Kocjan

Menschen in Rösrath

Jochen Kocjan

Jetzt genießt er, nie mehr während der Ferienzeit seinen Urlaub nehmen zu müssen und dass er nie mehr die Zeugnis-Unterschriften-Akkord-Arbeit am Hals hat.

Der 63-jährige Familienvater und Großvater ist ein Mensch, der nach vorne blickt, weil sich alles immer kontinuierlich verändert, und – so hat es ihn der Alltag an seiner Schule gelehrt – weil immer neue Situationen praktische und geistige Flexibilität erfordern.

»Ich bin Stoiker und Pragmatiker«, legt Kocjan nach. Vielleicht sind das genau die Eigenschaften, die einen dazu befähigen, gemeinsam mit Pädagogen, Therapeuten und Pflegern für 200 Schüler da zu sein, die Schädigungen des Gehirns, Rücken­marks, der Muskulatur oder des Knochengerüsts haben, unter Fehlfunktionen von Organen leiden, psychische Probleme mit sich herumschleppen oder Autisten sind. »Inklusion an Schulen heißt ja nicht ein­­fach nur Barrierefreiheit.« Wie be­fähige ich ein autistisches Kind mit Autoaggression, in einer Gruppe zurechtzukommen? Wie befähige ich ein tetraspastisches Kind, das kaum kontrollierte Bewegungen machen kann, trotzdem einen elektrischen Rollstuhl zu bewegen? Auf diese Fragen musste er mit seinem Team tagtäglich Antworten finden, sprich Lösungen erarbeiten. »Es braucht dazu eine Haltung, dass der Mensch an sich einen Wert hat und jeder das Recht besitzt, mitzuspie­len.«

»Ich hatte einen Schüler, Rollstuhlfahrer, schwer gehandicapt«, erklärt Kocjan. »In der Mietwohnung der Familie war die Mobilität des Schülers gleich null. Unsere Schule war für ihn der einzige Ort, an dem er im Schulschwimmbad mit Wasser in Berührung kommen konnte.«

Eigentlich wollte Jochen Kocjan Medizin studieren und stand nach dem Abitur auf der Warteliste. Er leistete seinen Bundeswehrdienst beim Sanitätsbataillon in Hamburg ab, danach hatte er immer noch keinen Studienplatz. Also meldete er sich auf eine Annonce und begleitete einen Multimillionär, der unter Parkin­son litt, durch Europa. Auch danach war kein Medizinstudienplatz in Sicht. Also wurde er einer der ersten Studenten am neuen Lehrstuhl für Sonderpädagogik in Köln. Während des zweijährigen Referendariats an der LVR-Schule in Düsseldorf lernte er, dass der Unterricht vor allem durch direkte wenig verfälschte Beziehungen, Zuwendungszeit und über das emotionale Lernen funktioniert. »Die Schüler haben einen verehrt und geliebt, und ich habe gemerkt, welche Individuen dahinter­stecken. Man reduziert sie nicht mehr auf die Besonderheit, sondern sieht die Persönlichkeit.« Dafür aber braucht es eine gehörige Portion Empathie. Für Kocjan essenziell, um an einer sonderpädagogischen Schule zu arbeiten. »Ich habe Referendare erlebt, die perfekten Fachunterricht ablieferten, aber keine empathische Beziehung zur Klasse aufbauen konnten. Das klappt hier nicht, die Schüler entlarvten das schnell.«

Im Ruhestand wird er die weitere Entwicklung der LVR-Schule Königsforst nicht – wie früher – mitbestimmen, aber er sieht die Schule gut aufgestellt. »Ich denke, ich habe für einen rumpelfreien Übergang gesorgt«, sagt er gelassen, auch wenn er sich einen Traum nicht erfüllen konnte. »Ich hätte gerne eine begrenzte Zahl von Plätzen für Schüler ohne Handikap angeboten – eine Art umgekehrte Inklusion.« Doch so flexibel sind Schulsystem und Schulbürokratie nicht. (Sigrun Stroncik)

3 Fragen an Jochen Kocjan

Was mögen Sie besonders an der Stadt Rösrath?
Kocjan: Ich schätze es, dass wir hier so viele Kooperationsmöglichkeiten und gute Kontakte zu den anderen Rösrather Schulen haben.

Was würden Sie gerne in Rösrath ändern?
Ich würde den Sülztalplatz komplett abreißen und neu gestalten. Auch den Bahnhofsvorplatz würde ich total anders machen.

Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz in Rösrath?
Teile der Wahner Heide, Hoffnungsthal und Stephansheide.