Very British

Wir sind Rösrath

Very British

Thomas Morgan. Der 34-jährige Anwalt aus Jersey ist kein Teeliebhaber. Also heißt es bei ihm »Kaffee trinken und abwarten«, denn der Brexit ist verschoben. Bis Ende Oktober hat Großbritannien jetzt Zeit, eine Lösung zu finden und dann aus der EU auszusteigen. Ein britischer Kompromiss könnte auch früher erfolgen. (das war bei Redaktionsschluss noch nicht geschehen). Aber egal – auf eine Verschiebung habe er gehofft, sagt Thomas. Nicht nur weil das gefürchtete Szenario eines No-Deal-Brexits erst mal abgewendet worden ist, sondern auch aus privaten Gründen. Denn mit seiner deutschen Frau Carina Bayerdörffer ist er jetzt erst zwei Jahre verheiratet, wegen der Verschiebung konnte er aber doch noch einen Antrag auf Einbürgerung und Doppelstaatsbürgerschaft stellen. Carina (35) lernte er in Singapur kennen. Die Unternehmensberaterin ging von der 7. bis zur 10. Klasse auf das Rösrather Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, machte ihr Abitur aber auf einer internationalen Schule im asiatischen Stadtstaat. Auf der 10-jährigen Abi-Feier hat sie dann Thomas getroffen und später eine europäische Fernbeziehung geführt, bis das deutsch-britische Paar in Rösrath zusammengezogen ist. Seit 2015 lebt Tomas in der Sülzstadt. Hier anzukommen war für ihn relativ leicht. »Ich mache gerne mal etwas Neues«, sagt er, der sich als Kosmopolit versteht. Und außerdem genießen EU-Bürger in Deutschland genauso wie in den anderen EU-Mitgliedsstaaten besondere Rechte. Sie dürfen sich hier Arbeit suchen, ohne amtliche Arbeitserlaubnis arbeiten und unbefristet hier leben.

Das Ganze nennt sich EU-Freizügigkeit von Arbeitnehmern. Ein Vor­teil, den man erst bemerkt, wenn es nach einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs für Briten damit vielleicht vorbei ist. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mir hier in Deutschland mal Gedanken über meine Staatsbürgerschaft machen müsste oder darüber, unter welchen Umständen ich noch bleiben kann«, erklärt Thomas. »Aber von dem Tag an, als das Votum pro Brexit feststand, wussten wir auch, dass wir handeln müssen«, erinnert sich Carina. Für beide war es wichtig, die Doppelstaatsangehörigkeit zu bekommen. Dafür haben sie nun als Erstes gesorgt. Sind also alle Pro­bleme, die der Brexit mit sich bringt, für sie gelöst? Keiner weiß es so genau. Thomas bangt um seine Zulassung als Anwalt, und wie sieht es demnächst mit der Anerkennung von Abschlüssen aus? Wie wird das Hin- und Herreisen sein, denn Thomas’ Eltern wohnen schließlich in England? Das sind nur einige Fragen, die sich beide stellen.

Christine Mühlhoff. Aus dem Brexit-Kuddel-Muddel hat sie die gleichen Konsequenzen gezogen wie Thomas Morgan. Seit Oktober 2017 ist die 55-Jährige Deutsche. Den Einbürgerungstest mit 33 Fragen hat sie damals mit Bravour gemeistert, ihr Status ist also auf Lebenszeit geklärt. Als sie kurz nach der Einbürgerung in England war und schließlich wieder in Köln landete, hat sie den deutschen Pass bei der Einreisekontrolle erstmals ausprobiert, erinnert sie sich. Der Beamte schaute darauf, nuschelte irgendetwas, was sie nicht verstand, und Christine – mit ihren Gedanken noch halb in England – erwiderte »I beg your pardon«, worauf der Beamte irritiert erst sie und dann den deutschen Pass musterte. Christine nimmt es mit Humor, obwohl ihr in Sachen Brexit schon lange nicht mehr zum Lachen ist. Sie merkt, wie das Ganze die britische Gesellschaft polarisiert hat, und sie macht sich Sorgen, vor allem um ihre Eltern, die Pflege brauchen. Das Reisen werde schon jetzt komplizierter, meint sie, vor allem der Fährverkehr, weil viele Linien wegen einer Notfallreserve gestrichen sind.

Vor 30 Jahren kam die Betriebswirtin wegen eines Jobangebots nach Deutschland. Das war zu einer Zeit, als es so etwas wie Arbeitnehmerfreizügigkeit gar nicht gab und sie sich auf Ämtern die Beine in den Bauch stand, um eine Arbeitser­laubnis zu ergattern. »Diese Erfah­rung wollte ich eigentlich nicht noch mal machen«, sagt Christine, und stand stattdessen Schlange vor der Ausländerbehörde des Rheinisch-Bergischen Kreises, wo die Türen aus Sicherheitsgründen abgeschlossen sind, und sie ein junger Flüchtling vorließ, weil sie eigentlich zur Arbeit musste. »Ohne einen gesicherten Status hatte ich Angst, mich nicht mehr heimisch zu fühlen oder gar ausgewiesen zu werden.« Deshalb war für sie klar, dass ihr nur die Einbürgerung Sicherheit verschaffen konnte. Christines Lebensmittelpunkt ist und bleibt nun mal Rösrath und Umgebung. Hier wohnt sie mit ihrem deutschen Mann Martin, mit dem sie zwei erwachsene Kinder hat. Hier ist sie gesettelt, wie sie es nennt. Fragen aber bleiben auch bei ihr. Wie wird das später mal im Erbschaftsfall in England, was passiert bei größer werdender Pflegebedürftigkeit der Eltern? »Ich finde das alles sehr unvorhersehbar, was passiert, alles ist möglich.«

Miranda Chaplin. Auch die Geigenlehrerin zog es wegen der Arbeit nach Deutschland, genauer gesagt nach Köln. 1991 war das. »In den 90er-Jahren gab es hier einfach viel zu tun für Musiker«, erinnert sich die 53-Jährige sich. Eigentlich wollte sie nur kurz bleiben, aber dann lernte sie einen Deutschen kennen, heiratete ihn, bekam zwei Kinder und nun lebt sie schon 20 Jahre in Rösrath.

Für sie war das Brexit-Gesche­hen Anlass, sich nun endlich auch um die deutsche Staatsbürgerschaft zu kümmern. »Ich wollte Europäerin bleiben und eine Stimme haben«, betont sie. Das ist ihr gelungen. Seit Januar 2018 hat sie neben dem britischen nun auch einen deutschen Pass und darf, das ist ihre größte Freude, endlich wieder wählen gehen. Denn als Britin, die mehr als 15 Jahre im Ausland lebt, durfte sie weder beim Brexit-Referendum – sie hätte für Remain gestimmt – noch bei anderen Wahlen teilnehmen. An die »komplexeste« Frage beim Einbürgerungstest kann sie sich noch gut erinnern: Zu welchem Amt muss man gehen, um einen Hund anzumelden? Doch Spaß beiseite. Sie macht sich Sorgen um ihr Herkunftsland.»Es ist nicht mehr das England, das ich verlassen habe. Das Referendum hat die Gesellschaft gespalten und vielleicht macht Großbritannien ja nur den Anfang von Ländern, die aus der EU herauswollen und der Frieden, der in Europa herrscht, ist dann wieder gefährdet«, so ihre Befürchtung. Die akute »Postreferendums-Depression« hat Miranda zwar überwunden. Aber an einen für alle Seiten befriedigenden Kompromiss vor allem in der Nordirland-Frage bis Ende Oktober glaubt sie auch nicht. Für sich selbst hat sie eine Lösung gefunden: Ihr Mann und sie haben wegen der britischen und deutschen Staatsbürgerschaften alle Optionen. Das war ihr wichtig. »Denn vielleicht möchte ich in der Rentenzeit nach England zurückkehren, mein Mann wäre dabei.« Der Ausweg Doppelstaatsbürgerschaft wird nicht mehr jedem Briten in Deutschland offenstehen. Ist Großbritannien erst ein­mal Drittland, muss die bisherige für die deutsche Staatsangehörigkeit in der Regel aufgegeben werden. Und der zukünftige Status von Briten in Deutschland und der EU ist solange nicht abschließend geregelt, solange nicht klar ist, ob sich das Vereinigte Königreich mit oder ohne Deal aus der Europäischen Union verabschiedet. (Sigrun Stroncik)