Petra Stoll-Hennen

Rösrath liest

Petra Stoll-Hennen

Lesen gehört für Petra Stoll-Hennen als Journalistin zum Alltagsgeschäft, »gut zuhören können« aber fast noch mehr. In ihrem Beruf sei es wichtig, nicht immer schon mit vorgefertigten Ideen und fest gefügten Meinungen im Kopf an ein Thema oder an einen Menschen heranzutreten. So gesehen kann auch das Lesen eine Übung in gutem Zuhören sein. Denn Bücher sind für Petra Stoll-Hennen eine Möglichkeit, »in andere Welten abzutauchen und vor allem einen Perspektivwechsel vornehmen zu können. Durch die erzählten Geschichten lerne ich die Sicht eines anderen kennen. Das erweitert meinen Horizont«, ist sie überzeugt.

Bereits als Grundschulkind hat Stoll-Hennen gerne geschmökert und ihren Horizont erweitert, vor allem durch die Fünf-Freunde-Bücher oder durch Hanni und Nanni. »Die Internatsgeschichten fand ich damals besonders spannend, vor allem weil die beiden Mädels aus bestimmten Vorgaben ausgebrochen sind.« Später hat sie ihren Töchtern vorgelesen. Besonders beliebt waren die Latte-Igel-Bücher, die spannende Tierabenteuer mit liebevollen Freundschaftsgeschichten vereinen.

Ihre eigene Lektüre findet Stoll-Hennen meist beim stundenlangen Stöbern in Buchhandlungen und Lesen von Klappentexten. So ist sie auch auf den Roman gestoßen, den sie vorstellen möchte: Die Erfindung der Flügel von Sue Monk Kidd.

»Die Autorin entführt den Leser in die Südstaaten der USA Anfang des 19. Jahrhunderts.« Ausgebreitet wird die Welt der weißen elitären Gesellschaftskreise, die sich auch in der Stadt scharenweise Sklaven halten. »In dieser Welt wächst Sarah, eine der beiden weiblichen Hauptfiguren des Romans, als Tochter eines reichen Gutsbesitzers auf. An ihrem elften Geburts­tag bekommt Sarah nicht nur ihr eigenes Zimmer, sondern auch die fast gleichaltrige Hetty als persönliche Zofe ge­schenkt. Hetty, von ihrer Mutter Handful genannt, ist Tochter der Sklavin Charlotte, die sämtliche Näharbei­ten des Haushalts verantwortet und nebenbei meisterhafte Quilts herstellt, mit denen sie ihre eigene Herkunftsgeschichte auf stoffliche Weise dokumentiert. Sarah sieht in Hetty keine Sklavin, sondern einen Men­schen, mit dem sie befreundet sein möchte. Aus dem Grund bringt Sarah Hetty das Lesen bei und weckt damit bei Hetty den Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit«, erzählt Stoll-Hennen. Was Sarah tut, verstößt gegen die gesellschaftlichen Konventionen der Südstaaten-Oberschicht, die auch ihren privilegierten Frauen keine Chance auf Selbstentfaltung lässt. Beide, Sarah und Hetty, versuchen im Laufe der Geschichte ihren jeweiligen Zwängen zu entkommen. Denn Sue Monk Kidd macht deutlich, dass beide Protagonistinnen Gefangene sind. Handful drückt das so aus: »Mein Körper mag ein Sklave sein, aber nicht mein Geist. Bei dir ist es umgekehrt.« Wie die beiden Frauen sich im Laufe der Geschichte entwickeln und dabei ihre inneren oder äußeren Gefängnisse aufbrechen, ist Kern des Romans. Sarah verlässt die Familie, um für die Abschaffung der Sklaverei und die Frauenrechte zu kämpfen. Hetty strebt ihrerseits nach Freiheit und Überwindung ihrer Sklaven-Existenz, weil sie aus märchenhaften Geschichten ihrer Mutter weiß, dass einst alle Menschen Flügel hatten. Historisch dockt der Roman an die beiden Schwestern Sarah und Angelina Grimké an, die sich tatsächlich vor rund 200 Jahren in den USA für die Abschaffung der Sklaverei und für die Frauenrechte eingesetzt haben. Wohingegen die Person der Sklavin Hetty fiktional ist. »Die Geschichte der außergewöhnlichen Frauen wird im Wechsel erzählt, mal aus der Perspektive von Sarah, mal aus der Sicht von Hetty. Das gibt ihr Tiefe und Weite zugleich, weil sich der Leser nie auf eine Seite allein schlagen kann«, urteilt Stoll-Hennen. »Mich hat das Buch betroffen gemacht, aufgewühlt und zum Nachdenken angeregt.« (Sigrun Stroncik)