Ab in die Heide

Wandern dritter Teil

Ab in die Heide

Förstchensteich.  An der Dorfschänke steht Bürgermeister Marcus Mombauer schon parat mit Hollandrad und einem entspannt wirkenden schwarzen Labrador namens Henry an der Leine. Wir holen kurz Schwung, biegen auf die Hasbacher Straße und schaffen die erste kleine Bergwertung des heißen Nachmittags.

Unter der Fußgängerbrücke rauscht die A 3, eine endlose Welle bundesrepublikanischer Raserei. Diese monotonen Geräusche im Ohr strampeln wir Richtung Schefferei. Südlich davon liegt der Förstchensteich, den Marcus Mombauer uns unbedingt zeigen möchte, denn er liebt diesen Ort, der trotz menschlicher Bewirtschaftung aus der Zeit gefallen scheint. Mombauer ist Mitglied eines kleinen Angelvereins, der den Teich vor allem pflegt. Wir betreten ein Refugium aus Seerosen, wilder Uferbewachsung, grünen Büschen und einem Sonnenlicht, das im Wasser  diamanten glitzert. Fast über uns, als ob man es berühren könnte, setzt ein Flugzeug zur Landung an. Durch seine Verwirbelung kommt Wind auf, der die Gräser und Bäume sanft beugt. Irgendwie surreal. Marcus Mombauer erzählt, dass es den Teich schon seit den 60er Jahren gibt, entstanden durch die militärische Nutzung der Belgier. Ein aus Rinnsalen und Bachläufen aufgestautes Wasser, in dem heute Erdkröten laichen. Wenn Mombauer Zeit findet, so einmal im Jahr, zeltet er unter dem nächtlichen Sommerhimmel mit seinem Sohn. Dann angelt er Welse. »Die beißen im Dunklen besser«. Wir kommen uns vor wie an einem einsamen Gewässer irgendwo in Skandinavien – wenn … ja wenn nicht der Lärm menschlicher Mobilität in regelmäßigem An- und Abschwellen über uns verhallen würde.

Busenberg. Auf den ausgewiesenen Wegen radeln wir Richtung Busenberg durch schattige Wäldchen und weites Offenland und treffen an einem Teil der ehemaligen Panzerstraße Stephan Mohr und Moritz Pechau, die hier einen stationären Weidezaun errichten. Seit 1997 züchten sie Glanrinder, die letzte ursprüngliche Rinderrasse des Rheinlands. Die hellbraunen großen Tiere sind nicht nur schmackhafte Fleischlieferanten, sondern in erster Linie Landschaftspfleger. Ohne ihren Verbiss würden ganze Areale verwalden und böten so mancher seltenen Tier- und Pflanzenart keinen Lebensraum mehr. Mombauer und wir erfahren, dass sich die Wahner Heide stark verändert. »Eine dynamische Landschaft im Wandel«, nennt Stephan Mohr sie. Da, wo das Militär schlammige Brachen und Ödflächen zurückgelassen hat, entstehen alle möglichen Vegetations-Übergänge in irrer Vielfalt – offene Heide, Buschwerk, Wäldchen, kleine Biotope in Wasserpfützen. Auch die Menschen, die hier Erholung suchen, haben sich geändert. Sie seien kundiger, rücksichtsvoller geworden, meint Mohr.

Wer das Große, das Spektakuläre sucht, ist in der Heide fehl am Platz. Wer aber die Schönheit im Kleinen findet, wer sich Zeit nimmt, genau hinzusehen, für den hält die Heide berührende Momente der Schönheit bereit mit ihrem wechselnden Licht und Landschaften.

Geisterbusch. Unser nächstes Ziel ist Geisterbusch, der größte zusammenhängende Offenlandbereich der Wahner Heide außerhalb des Flughafengeländes. Vom Namen sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen. Tagsüber ist der weite Raum mit seinen Brombeeren, den Landreitgräsern und der Besenheide eine Einladung an Naturgenießer. Doch wenn es dunkel ist und der Nebel wabert, hat wohl so mancher durch Alkohol befeuerter Zecher Geistererscheinungen durch die früher hier mannshoch in den Himmel ragenden Wacholderbüsche gehabt, so jedenfalls die Theorie von Thomas Stumpf. Unter einer alten Eiche weiden 100 seiner Ziegen und stellen sich auf die Hinterbeine, um an die wohlschmeckenden Blätter zu kommen.

Während Marcus Mombauer sich mit einem überaus prächtigen langbeinigen Bock (dagegen wirkt das Maskottchen des 1. FC Köln wie ein Kuscheltier) anfreundet, betont Stumpf, dass die Wahner Heide schon seit je her eine Kulturlandschaft gewesen sei, die sehr stark landwirtschaftlich genutzt wurde, und das auch nicht immer nachhaltig. Genauso wie die Glandrinder sind Stumpfs Ziegen Landschaftspfleger, die zum Erhalt der offenen Heidefläche beitragen.

Kalmusweiher. Unsere Tour ist fast zu Ende. Wir halten an der Ehrenanlage am Kalmusweiher. Einhundertzwölf Grabsteine werden von der Abendsonne beschienen. »Iwan Stepanoff« steht auf einem, »unbekannter Soldat« auf vielen anderen. Steinerne Erinnerungen an die russischen und polnischen Soldaten, die während des zweiten Weltkriegs im ehemaligen  Kriegsgefangenenlager in Stephansheide ums Leben kamen. Sie starben an Tuberkulose oder den Folgen von schweren Misshandlungen, andere wurden erschossen. Wir setzen uns auf eine Bank – ein großer Moment der Stille breitet sich aus. Nur die Vögel zwitschern an diesem so idyllischen Ort am Rande der Wahner Heide. (Sigrun Stroncik)