Menschen in Rösrath
Claudia Schmidt-Herterich
Claudia Schmidt-Herterich, geboren 1962, hat sich in ihrem Leben immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Ihr fehlen beide Arme. Die Hände mit den wenigen Fingern sind an den Schultern. Mittlerweile sitzt sie im Rollstuhl, Spätfolgen ihrer Schädigung. Ihr Ehemann Udo Herterich hat keine Beine. Die Füße sitzen eng am Körper. Auch er braucht einen Rollstuhl. Beide sind Opfer von Contergan, dem Schlafmittel aus dem Hause Grünenthal, das wohl den größten Medikamentenskandal aller Zeiten auslöste. Zwischen 1958 und 1962 kamen bis zu 12000 Kinder in rund 50 Ländern mit zum Teil starken Behinderungen zur Welt, weil ihre Mütter während der Schwangerschaft das als harmlos geltende Mittel nahmen.
»Was willst du eigentlich auf der Straße? Man sollte dich vergasen.« Diese Sätze hat Schmidt-Herterich als Kind einmal von einem Passanten in Köln zu hören bekommen. Damals Ende der 60er-Jahre muss das gewesen sein. Wenn einen die Wucht dieser Worte trifft, gibt es zwei Möglichkeiten. »Man kann sich zurückziehen, sich unsichtbar machen oder kämpfen«, sagt sie. Sie hat sich zum Kämpfen entschlossen, war politisch in der Frauen- und Behindertenbewegung aktiv, studierte und arbeitet heute als Diplom-Psychologin.
Viel Energie steckten sie und ihr Mann in die Auseinandersetzung mit Grünenthal, kämpften um finanzielle Hilfen für die Opfer, waren oft in Berlin, wegen eines neuen Contergan-Stiftungsgesetzes und haben gemeinsam mit anderen Geschädigten die Internationale Contergan Thalidomid Allianz gegründet. Claudia Schmidt-Herterich setzt sich zudem als Vorsitzende des Rösrather Beirates für die Belange von Menschen mit Behinderung dafür ein, dass Behinderte mittendrin sein können. »Rösrath all-inclusive« nennt sie das. Wie kommt ein Rollstuhlfahrer aufs Bahngleis oder in die Geschäfte, wo sind Rampen und behindertengerechte Toiletten, wie lässt sich ein Briefkasten so umsetzen, dass auch Menschen mit Rollator ihn erreichen? Für solche Probleme sucht Schmidt-Herterich gemeinsam mit Beiratsmitgliedern und Kommune nach praktischen Lösungen. Im privaten Alltag lässt sich das Ehepaar Herterich von einer Assistentin helfen. »Wir selbst können nicht alles zu 100 Prozent kompensieren, müssen wir auch nicht können«, sagt sie mit ihrer leicht rauchigen Stimme. Sie hat eine sehr direkte und selbstbewusste Art, Dinge auf den Punkt zu bringen. Beispielsweise: »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ich versuchte mal mein Garagentor aufzubekommen, als es noch keinen Elektromotor hatte. Es dauerte. Schließlich hatte ich es aber geschafft, und dann kam jemand, machte mein Garagentor zu, ging weg und dachte sicher, er hätte eine gute Tat getan.«
Es müssen eben nicht nur physische Barrieren abgebaut werden, sondern auch »die Barrieren in den Köpfen«. Den anderen nicht wahrnehmen, ihm nicht zuhören, ihn in eine nie näher bestimmbare Norm pressen, das alles sind Dinge, mit denen sich gehandicapte und nicht-gehandicapte Menschen gleichermaßen herumschlagen müssen. Wenn man sich in sein Gegenüber hineinversetzen würde, wäre schon viel gewonnen für die Gesellschaft. »Wenn einer für mich denkt, nimmt er mich nicht wahr und hat keinen Respekt«, sagt sie zum Schluss mit großer Vehemenz. »Allen Menschen zu helfen, dahin zu kommen, wo sie hin möchten, und das freiheitlich und selbstständig entscheiden zu können«, ist Claudia Schmidt-Herterichs Triebfeder. Es geht um ein Leben in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. (Sigrun Stroncik)
3 Fragen an Claudia Schmidt-Herterich
Was mögen Sie besonders ander Stadt Rösrath?
Schmidt-Herterich: An Rösrath mag ich, dass es so schön grün ist und hier auch bisher keine Betonmassen bestanden. Außerdem gefallen mir die Menschen. Die sind hier sehr offen, rheinisch eben.
Was würden Sie gerne in Rösrath ändern?
Ich würde den Bauboom stoppen, damit die Lebensqualität hier erhalten bleibt. Und natürlich würde ich »Rösrath all-inclusive« machen.
Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz in Rösrath?
Es gab einen Platz, der jetzt leider weg ist, den Forsbacher Park am Ehrenmal. Der war vor allem schön, wenn dort die Krokusse blühten. Ansonsten die Forsbacher Mühle.