Menschen in Rösrath
Robert Wagner
»Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden.« Dieser Gedanke des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard kommt einem in den Sinn, wenn man sich längere Zeit mit Robert Wagner unterhält und das nicht nur, weil Wagner Vorsitzender des Rösrather Geschichtsvereins ist. Geschichtskenntnis scheint ihm ein trennscharfes Instrument zur Gegenwartsbeurteilung zu sein, lässt ihn vielleicht aber auch deshalb alles viel gelassener sehen. »Man muss immer genau hinschauen, nur so kann man Klischees überwinden«, ist er überzeugt. Zum Beispiel jene Klischees, dass alles immer schlechter wird oder zumindest die Jugend immer dümmer.
Das kann er als Leiter der Gemeinschaftshauptschule Lindlar in seinem Lehrer-Alltag so nicht feststellen. »Die Schüler sind offener und kommunikativer als früher, dafür haben manche vielleicht Defizite in der schriftlichen Kultur.« Ansonsten hilft ein Blick in die Schulchronik Lindlars. 1914 beklagt sich der Lehrkörper über die Gleichgültigkeit der Eltern in Sachen Bildung ihrer Kinder und das mangelnde Interesse der Schüler am Lernen. Und dort heißt es 1924, dass immer mehr Kinder mit Totschlägern in die Schule kommen. Alle Diskussionen schon mal da gewesen.
»Die Beschäftigung mit Geschichte bewahrt vor Pessimismus«, so Robert Wagner. Andererseits scheint ihm verantwortliche Zeitgenossenschaft wiederum Erinnerungsarbeit zu bedeuten. Was möglicherweise mit seinem Geburtsjahrgang zu tun hat: 1946 – Nachkriegsgeneration. Die Eltern werden in Köln ausgebombt, wo Robert Wagner geboren wird, anschließend Primitivleben in einer Baracke bei Hommerich. Mütterlicherseits gehört Wagner zur Familien-Dynastie Vierkötter aus der Gemeinde Rösrath, dort kommt er mit sechs Jahren in die Schule.
Urgroßvater Johann Wilhelm Vierkötter aus Wahlscheid hat in Köln gar den »Halven Hahn« erfunden. Familiengeschichte, Ortsgeschichte ist nichts Isoliertes, Privates, ordnet sich immer auch in einen größeren historischen Zusammenhang. Aus seiner Zeitgenossenschaft kann man sich nicht wegstehlen.
»Mit 15, 16 Jahren hatte unsere Generation jede Menge Fragen zur Vergangenheit, bekam aber keine Antworten.« Weder Opfer noch Täter haben mit ihren Kindern über den Holocaust und den Nazi-Faschismus sprechen können. Robert Wagner wusste nur, dass das Bild der Deutschen im Ausland kein gutes war. Daher zog er in die Welt, dieses Bild zu ändern, und setzte sich für Völkerverständigung ein, ob im Bundesjugendring oder im Deutschen Alpenverein. Später hat er die Partnerschaft zwischen Lindlar und der Stadt Kaštela in Kroatien vorangetrieben und damit immer auch konkrete Hilfe für die kroatische Partnerstadt nach dem »Heimatkrieg« verknüpft.
Auch in seinem Lebensort Rösrath hat er sich sozial engagiert. Der fünffache Familienvater half gemeinsam mit seiner Frau Erika Aussiedlern aus Russland und Asylsuchenden sich in der Sülzstadt zurechtzufinden. »Schon aus Ärger wegen der vielen Halbinformationen, die in der Bevölkerung kursierten.« Und aus dem Wissen heraus, welch wechselvolle Geschichte diese Menschen hat stranden lassen.
Wertschätzung ist für ihn wichtig. Etwas was er selbst Schülern entgegenbringt, die etwas ausgefressen haben. »Man darf keinen Menschen mit Haut und Haaren ausschließen«, ist seine Überzeugung. Zur Wertschätzung der eigenen Lebenswelt hat Wagner im Rahmen des Geschichtsvereins auch mit Publikationen beigetragen. Die Stadt Rösrath wird mit tiefengeschärftem Blick gesehen. Dabei geht es weder um das Bewahren um jeden Preis noch um verklärte Rückwärtsgewandtheit oder gar Heimattümelei. Wenn der Geschichtsverein sich beispielsweise um alte Baudenkmäler bemüht oder sich um die Zukunft von Schloss Venauen sorgt, geht es immer auch um Lebensqualität. »Ein Ort ist lebendig durch seine Mehrdimensionalität, durch seine Beziehungen zur Kulturlandschaft und durch seine Geschichte«, sagt Wagner. Diese Geschichte und die eigene Zeitgenossenschaft kann eine gute sein, wenn man Glück hat. »Ich wüsste nicht, ob ich damals in der Nazizeit mutiger gewesen wäre«, sagt Robert Wagner. Wichtig sei es aber, sich der Geschichte zu stellen. (Sigrun Stroncik)
Unter dem Dach des Geschichtsvereins, dessen Vorsitzender Robert Wagner ist, sind zahlreiche Publikationen über Rösrath erschienen.
Fragen an Robert Wagner
Was mögen Sie besonders an der Stadt Rösrath?
An Rösrath gefällt mir die schöne Landschaft in zentraler Lage zwischen zwei Autobahnen, mit Anbindung an den Flughafen und die Eisenbahnlinie und trotzdem ist alles grün und hügelig.
Was würden Sie gerne in Rösrath ändern?
Das Wegenetz für Fußgänger müsste verbessert werden. Beispielsweise gibt es keinen richtigen Weg entlang der Sülz durchs Grüne, auf dem man von Hoffnungsthal zum Schloss Eulenbroich gelangen kann.
Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz in Rösrath?
Mein Lieblingsplatz ist die Terrasse in unserem Garten. So ein gewisses Schollendenken schlummert eben in uns allen.