Eva Richter

Rösrath liest

Eva Richter

»Aber beim Lesen suche ich auch Entspannung und manchmal sogar Eskapismus.« Seit sie lesen kann, liebt sie Bücher. »Meine Mutter hat das sehr geför­dert, mir viel vorgelesen, aber auch selber Geschichten erzählt.« So angespornt hat sie sich mit zehn Jahren durch sämtliche Bände von Karl May geschmökert oder ist mit Sven Hedin in die fernsten Regionen dieser Welt gereist, fasziniert von der Exotik, der Entdeckerlust und dem Abenteuer. Auch Märchen gehören zu ihrem persönlichen Kanon, klassische, aber auch beispielsweise die russischen, »mit der Baba Yaga, eine Art alte Frau oder Hexe, die in einer Hütte wohnt, die auf Hühnerbeinen steht«.

Ob Krimi oder hohe Literatur, Fiktionales oder Sachbuch, es hängt stark von der Stimmungslage ab, zu welchem Buch Richter gerade greift. Den Lesestoff findet sie beim Stöbern durch Buchhandlungen, aber sie schaut auch verstärkt auf dem Onleihe-Portal der Stadtbücherei nach Neuheiten. »Ich war schon immer ein Kind der Leihbüchereien. Bei meinem Lesekonsum wäre ich sonst arm geworden«, lacht sie.

Das Buch, das sie vorstellen will, hat sie auch über Onleihe ausgeliehen, ein Sachbuch mit einem Thema, das die deutsche Gesellschaft immer noch in Bewegung hält. Die Getriebenen – Merkel und die Flücht­lingspolitik: Report aus dem Innern der Macht von Robin Alexander. Der Hauptstadt-Korrespondent der »Welt« berichtet schwerpunktmäßig über das Bundeskanzleramt und die Unionsparteien und ist seit über zehn Jahren ganz nah dran an der Kanzlerin. Sein Buch stand wochenlang oben auf der Spiegel-Bestseller-Liste, weil es offenbar einen Nerv im Land getroffen hat.

Alexander rekonstruiert die Entscheidungen und Nichtentscheidungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihres Führungspersonals während der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015. »Er schil­dert, wie es zur Grenzöffnung kam, die Flüchtlinge von Österreich nach Deutschland durchgewinkt wurden, das politische Führungspersonal die Grenzen wieder dicht machen wollte, aber diese Grenzschließung am Ende nicht erfolgte«, so Richter. »Aus der Sicht von Robin Alexander war es ein Fehler Merkels gewesen, die Grenzen nach dem 4. September nicht wieder direkt zu schließen. Der Einsatzbefehl habe vorgelegen, aber an entscheidender Stelle wollte kein führender Politiker die Verantwortung übernehmen. Und später konnte Merkel nicht mehr zurück, weil sie dann einen enormen innen- und außenpolitischen Gesichtsverlust erlitten hätte«, so die Lesart von Alexander. Sechs Monate war diese Ausnahme an den deutschen Grenzen die Regel, Hunderttausende von Menschen kamen zum Teil uner­kannt nach Deutschland.

»Alexander rekonstruiert dieses Geschehen, zeigt, dass die politischen Akteure Getriebene waren, die auf die sich überschlagenden Ereignisse meist nur reagierten. Man muss hier sicher nicht allen Thesen von Alexander zustimmen, zum Beispiel dass eine Grenzschließung wirklich möglich gewesen sei, aber es ist beeindruckend, wie genau der Autor das Geschehen beobachtet und recherchiert hat. Man bekommt ein Bild, das der Wahrheit in Teilen nahekommt.« Politik ist manchmal eben auch ein Durchwursteln, ein unfreiwilliges Hineinstolpern in bestimmte Rollen, die man sich nicht ausgesucht hat. »Dabei ist das Ganze unheimlich dicht und spannend er­zählt, ich habe mich echt festgebissen«, so das abschließende Urteil von Eva Richter. (Sigrun Stroncik)

Robin Alexander
Die Getriebenen – Merkel und die Flücht­lingspolitik: Report aus dem Innern der Macht
Siedler Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro