Sylvia Mohr

Rösrath liest

Sylvia Mohr

ippi Langstrumpf also, eines der berühmtesten frechen Mädchen in der Kinder- und Jugendliteratur, half Sylvia Mohr (49) über einen Krankenhausaufenthalt hinweg. Damals war sie genauso alt wie die sommersprossige Heldin von Astrid Lindgren, nämlich neun, und ihre Mutter brachte ihr die Pippi-Bücher mit. »Die haben mich gleich gefesselt«, sagt sie. Pippi, freigeistig, finanziell unabhängig, freundlich, stark, eine Rebellin, die so manche Regeln der Erwachsenen hinterfragt, sich vor Plutimikation drückt und ein Herz für die Schwachen der Gesellschaft hat, ist eine nicht ganz unumstrittene Figur, eben »ein Mädchen, das aus der Norm ausbricht«, ergänzt Sylvia Mohr. Sie sei in dem Alter sicher braver gewesen, aber durch die Pippi-Bücher hat sie sich fürs Lesen begeistert.

Seit 2006 ist Sylvia Mohr Leiterin der Gemeinschaftshauptschule Rösrath, fungiert als Moderatorin für die Bezirksregierung, sitzt in regionalen Fachkonferenzen und muss natürlich immer wieder ihre Stunden vorbereiten in Englisch und katholischer Religion. Lektüre heißt da immer Pflichtlektüre, Amtsblätter und Informationen daumendick und stapelweise. In ihrer knapp bemessenen Freizeit liest Sylvia Mohr deshalb am liebsten Lalaliteratur, wie sie es nennt und keineswegs abwertend meint: Entspannung durch spannende Bücher. Muße dazu hat sie eigentlich nur in den Ferien und dann ist ihr Lieblingsplatz fürs Schmökern die Kuchenbude auf dem Familiensegelboot im niederländischen Hindeloopen.

Eine große Leidenschaft von Sylvia Mohr ist das Lesen von Klappentexten, auf diese Weise kann sie lange durch Buchläden stöbern und Neues für sich entdecken, beispielsweise einen Krimi, der in Hindeloopen spielt und in dem sogar der alte Hafenmeister vorkommt, den sie kennt: ›Wendezeit‹ von Heinz Harling ist ein Thriller als Segelreise.«

Derzeit hat sich Sylvia Mohr aber ein anderes Buch vorgenommen. »Irre! Wir behandeln die Falschen«. Der Autor Manfred Lütz, ein Psychiater und Theologe, ist Leiter des Alexianer-Krankenhauses in Köln-Porz. Und weil sich Sylvia Mohr gern mit Psychologie beschäftigt, fand sie es gleich anziehend. Dem Laien wird eine Einführung in Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosen und deren Therapien gegeben. »Etwas zum nachdenken, aber mit viel Humor geschrieben«, urteilt sie. »Lütz zeigt uns zunächst aber, dass es meist die Normalen sind, die einer Gesellschaft Probleme bereiten.« Ob Diktatoren, die Kriege anzetteln, Hotelerbinnen, die Blödsinniges tun, oder schmähwütige Sänger, die sich für Pop-Titanen halten. »Sie alle machen irre Dinge und gelten trotzdem als ›normal‹.«

Zitat aus dem Buch: »Es gibt wohl … keine Säugetierart, die sich so ausdauernd gegenseitig umbringt … Die Lage ist brisant. Vor einem wirklichen Weltgerichtshof sähe es verdammt schlecht für uns aus. Man müsste befürchten, dass die ganze Menschheit wegen nachweislich verrücktem Verhalten und akuter Fremdgefährdung der gesamten Schöpfung in die Psychiatrie eingewiesen würde.« Ist normal also das Gegenteil von krank oder das Gegenteil von außergewöhnlich? Lütz regt an, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Was auch den Blick auf den eigenen Alltag lenkt.

Sylvia Mohr kennt den berühmten Spruch, der in so manchem deutschen Bürozimmer prangt: »Die ganze Welt ist ein Irrenhaus und hier ist die Zentrale.« Gegen dieses normale Weltirrenhaus hilft nur eines, findet sie: »Humor – damit lässt sich so manche Situation viel gelassener überstehen.« SST