Der Hammer

Expandierendes Gewerbe in dörflichem Idyll

Der Hammer

Noch vor 20 Jahren wurde hier mit Hammerschlägen morgens in der Früh der Schichtbeginn eingeläutet, strömten die Arbeiter in die großen Werkshallen am Hammerweiher, in denen Heizkörper und -kessel produziert wurden. »Ich weiß noch, wie die Leute immer sagten: Wie könnt Ihr nur auf einem Industriegelände leben«, erinnert sich Béatrice Naus-Kurschildgen an ihre ersten Jahre in direkter Nachbarschaft zum Hammer-Werk. Die gebürtige Belgierin hatte 1989 zusammen mit ihrem Mann Heiner die alte Fabrikantenvilla gekauft und zu einem schmucken Wohn- und Geschäftshaus umgebaut. Und damit den Keim für die spätere erfolgreiche Entwicklung des Geländes zu einem florierenden Wohn- und Gewerbestandort gelegt.

Durch Zufall stieß die Grafikdesignerin damals auf das wenig einladende Immobilienangebot: »Schwer renovierungsbedürftige Villa zu verkaufen.« Heiner Kurschildgen dazu: »Was wir vorfanden, war ein verfallenes Gebäude.« Doch seine Frau war verliebt in das Gemäuer – und hatte eine Vision. Mit viel Charme, gepaart mit großer Hartnäckigkeit, machte sie sich daran, ihren Traum umzusetzen. 1991 zogen beide mit Werbeagentur und Verlag in die frisch getünchte Rosa Villa ein, später verlegten sie auch ihren Wohnsitz an den Hammer 12. Sieben Jahre lang hörten sie morgens noch die Hammerschläge, 1998 wurde das Reusch-Werk geschlossen.

2003 entschloss sich das Ehepaar Naus-Kurschildgen, ein weite­res Stück Hoffnungsthaler Geschichte vor dem Abriss zu retten. Sie kauften einen Teil der alten Hallen und bauten sie zu Gewerbe- und Wohneinheiten um. Vor zehn Jahren zogen dort die ersten Mieter ein.

Den Stab gab Béatrice Naus-Kurschildgen 2010 an Silke Oepen weiter, die sie sukzessive als Nachfolgerin aufgebaut hatte. Gemeinsam mit ihrem Team managt die 38-jährige Kölnerin mit b.naus seitdem die Full-Service-Werbeagentur, die von Beratung über Konzeption und Kreation bis hin zur Produktion alles aus einem Haus bietet. Egal ob Broschüre, Katalog, Plakat oder Internetauftritt. »Wir lassen unsere Auftraggeber immer gut aussehen«, verspricht Silke Oepen, die sich auch bei den Rösrather Unternehme­rinnen und der Bürgerstiftung einbringt.

Von der Terrasse der Rosa Villa aus blickt man direkt auf die ehemalige Pförtnerloge. Seit November 2014 hat dort die Schmuckdesig­nerin Sylvia Bechthold ihre Heim- und Werkstatt. Die Rösratherin kreiert vornehmlich Ketten und Anhänger – und ist selbst ihr bestes Model: »Die Leute sprechen mich häufig auf meinen Schmuck an und fragen, woher ich das Stück habe.« Ihre Kollektion besteht aus handgefertigten Modellen, für die sie unterschied­liche Materialien nutzt, Gold, Silber, Edelsteine oder Horn. Kürzlich hat sie sich mit Karbon als neuem Werkstoff beschäftigt. Im Schmuckwerk Am Hammer 19 finden sich filigrane Ketten neben auffälligen und schlicht-eleganten Modellen. Jedes ein Unikat – und zugleich Inspiration für Schmuckliebhaber, die sich von Sylvia Bechthold ihr eigenes Stück anfertigen lassen möchten. 

Die Liebe zum Detail prägt auch die Arbeit von Dirk Gebauer: EdelWeiss hieß sein Dental-Fachlabor zu Bensberger Zeiten; seit diesem Frühjahr residiert der 52-jährige mit seiner Firma Am Hammer 18, der neue Name Zahnwerk 18 liegt da nahe. Edel geht es noch immer zu – der Zahntechnikermeister hat sich auf Vollkeramik und Implantologie spezialisiert. »Die Anspruchshaltung ist viel höher als früher«, konstatiert Gebauer, der sämtliche Meisterprüfungen und Weiterbildungen als Jahrgangsbes­ter abgeschlossen hat. »Typisch Stier eben«, meint er etwas verlegen, »ich bin wohl ziemlich ehrgeizig.«

Dass die Ansprüche der Kunden steigen, kann Dorothee Leibold, Hörgeräteakustikmeisterin und Filial­lei­terin bei Hörgeräte Lorsbach Am Ham­mer 30, nur bestätigen: »Wir spüren den demografischen Wan­del schon deutlich. Die Menschen ge­ben sich im Alter heute nicht mehr damit zufrieden, vorm Fernseher zu sitzen. Sie wollen aktiv am Leben teilhaben, Konzerte besuchen, kommunizieren. Das erfordert individu­elle Anpassung und komplexere Technologie.« Der Stand­ort am Hammer ist einer von insgesamt 16 in der Region und eröffnete vor sieben Jahren. Drei Mitarbeiter haben dort ein »offenes Ohr« für die Be­dürf­nisse ihrer großen und kleinen Kunden, bieten Fachberatung auf hohem Niveau, gepaart mit modern­ster Technik. Ein Kinderhörzentrum sowie spezielle Therapien, zum Beispiel bei Tinnitus, ergänzen das Angebot.

Bei der Shirtmakers Family, die seit 2006 Am Hammer beheimatet ist, kümmern sich zehn Mitarbeiter vor Ort um die Auftragsbearbeitung des er­folg­reichen Modelabels Emanuel Berg, das für Maßanfertigung von Herrenhemden und Damenblusen auf hohem Niveau steht und Läden im In- und Ausland hat – der nächstgelegene ist in Köln. »Eine erste Beratung über Stoffvorlieben oder Textilempfindlichkeiten und das Maßnehmen kann schon mal eine halbe Stunde und mehr dauern«, so Geschäftsführer Leszek Bystry. Rund vier Wochen dauert es, bis das Hemd fertig ist. Produziert wird in Polen, mehr als 1000 Stammkunden zählt Bystry, der natürlich nur Hemden aus der eigenen Produktion trägt – »bis auf eins, das ich der Farbe wegen gekauft habe. Das trage ich aber nur in der Freizeit ...«

Qualifizierte Fachberatung bie­tet auch Berthold Kalsbach. Als Beigeordneter der Stadt Rösrath hat er fast ein Vierteljahrhundert lang städtebauliche Akzente gesetzt und Wirtschaftsförderung betrieben. Sein Knowhow und die guten Kontakte nutzt er seit seiner Pensionierung für seine 2013 gegründete Firma, die Kalsbach Beratungs GmbH. Gemeinsam mit Partnern entwickelt er einen ehemaligen Gewerbestand­ort in Bahnhofsnähe und weitere Projekte in Rösrath und der Region. Darüber hinaus ist der 61-jährige ehrenamtlicher Geschäftsführer der Schloss Eulenbroich GmbH und zweiter Vorsitzender der Bürgerstiftung Rösrath.

»Bewegend anders« ist das Konzept von Wellness-Therapeutin Renate Kröcher und Physiotherapeut Gerhard Kröcher in ihrer Praxis Konzept Körper, Am Hammer 33. Neben Einzelbehandlungen für Privat- und Krankenkassenpatienten bieten sie und ihr fünfköpfiges Team, bestehend aus Physiotherapeuten, Osteopathen und Sportwissenschaftlern, in ihren neuen Räumen Am Hammer 32 auch Gymnastikkurse, Reha-Sport, Yoga und Pilates. »Bei uns steht der Mensch und nicht die Krankheit im Mittelpunkt«, so Renate Kröcher, die in ihrer Freizeit auch künstlerisch aktiv ist. Ihre Werke sind in der Praxis zu sehen.

Der Name ist Programm. BEA – Bewegung, Ernährung, Atmung heißt das Konzept von Bea Wollny, Yoga-Trainerin und Ernährungsberaterin, die sich Anfang des Jahres Am Hammer 32 niedergelassen hat. Neben Yoga-Unterricht bietet die 42-jährige Bewegungs- und Entspannungstraining. Das BEA-Konzept ist angepasst an jedes Alter, mit viel Motivation und Spaß an Bewegung verbunden und beinhaltet Ernährungsberatung ohne Jo-Jo-Effekt, wie auch Atemschule mit effektiven Atemtechniken aus dem Yoga. Außer­dem engagiert sich Wollny, die mütterlicherseits griechische Wurzeln hat, auch kulturell: Jeden ersten Freitag im Monat findet ein philosophischer Vortrag am Hammer statt. »Ein Projekt, das ich zusammen mit der Sängerin Ruth Fiedler und dem Theologen Jürgen Fiedler ins Leben gerufen habe – nach dem Motto Freier Körper, Starke Stimme, Klarer Geist.«

Bewegung – darum geht es auch in der Ballettschule Dance Unlimited von Alexandra Hilger-Lee, die 2012 Am Hammer 28 eröffnete. »Tanz kennt keine Grenzen, er vermittelt Ästhetik, aber auch Körperbewusstsein, Disziplin, Selbstvertrauen und Koordination – und das in jedem Alter«, ist die Bühnentänzerin und Ballettpädagogin überzeugt. So drehen bei ihr nicht nur Kinder ihre Pirouetten, sondern alle Generationen, auch Senioren, die beweglich bleiben wollen und Wert auf gute Haltung legen. Neben verschiedenen Tanz- und Ballettkursen bietet Hilger-Lee Model-Coaching und Workshops für Pantomime und Schau­spiel an.

Der Vorhang ist also mit der Schließung des Reusch-Werkes vor knapp 20 Jahren nicht gefallen – auch wenn dies damals so mancher prognostiziert hat. Im Gegenteil, Am Hammer ist es so lebendig wie nie zuvor. Und heute beneiden die Menschen Béatrice Naus-Kurschildgen um ihre Nachbar­schaft … (Eva Richter)