Verdauung außer Kontrolle – was tun?
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Vinzenz Pallotti Hospital

Verdauung außer Kontrolle – was tun?

Erkrankungen des Enddarmes und des Beckenbodens zählen zu den häufigsten Krankheitsbildern der westlichen Industrieländer. Sowohl Stuhlinkontinenz als auch chronische Verstopfung (Obstipation) sind – vor allem für die Betroffenen – Tabuthemen und werden von daher gerne totgeschwiegen. Daher sind diese Erkrankungen letztlich auch mit einer hohen Dunkelziffer belegt. Denn Beschwerden und Schmerzen werden lange hingenommen, was zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität bis hin zur totalen gesellschaftlichen Isolation führen kann.

So groß der Leidensdruck für den Einzelnen auch sein mag, den ersten Schritt aus diesem vermeintlichen Teufelskreis heraus muss der Patient schon selbst tun, indem er sein Problem »outet«, gegen die eigenen Ängste und Vorbehalte angeht und sich Experten anvertraut. Mit sehr viel Aufklärungsarbeit und neuen Therapieansätzen verzeichnet die Medizin hier mittlerweile namhafte Erfolge. Die Verantwortlichen ermutigen mit fortschrittlichen Methoden zunehmend die Patienten, gemeinsam mit einem Facharzt zunächst Ursachenforschung zu betreiben, um dann gezielt alle medizinischen Therapiemöglichkeiten auszuloten: die konservativen, aber eben auch die operativen.

Längst lässt die demografische Entwicklung erwarten, dass die Proktologie ein medizinisches Spezialgebiet mit Zukunft ist. Schon jetzt belegt die Statistik, dass es sich bei Stuhl- und Harninkontinenz, bei Obstipation, Hämorrhoiden oder einem Darmvorfall um Phänomene handelt, die immer mehr Menschen betreffen. So leiden beispielsweise 50 Prozent aller Frauen über 50 Jahre an Stuhlinkontinenz, bei den Männern sind es nur 11 Prozent, unter den Heimbewohnern aber mehr als 40 Prozent; Zahlen, die auch die sozioökonomische Dimension dieses Themas erahnen lassen, wenn man die Kosten für den Arbeitsausfall der noch erwerbstätigen Patienten hochrechnet, oder allein die Ausgaben für Pflegeartikel. Die vergleichsweise hohe Anzahl weiblicher Patienten ergibt sich aus der Anatomie des weiblichen Körpers. Die mangelnde Stabilität des Beckenbodens mit möglicher Muskelschwäche nach mehreren Geburten oder der Entfernung der Gebärmutter kann oft ursächlich für Inkontinenzprobleme sein. Wenn diätetische und medikamentöse Therapien keine Wirkung zeigen, greifen mittlerweile neue chirurgische Verfahren. So handelt es sich bei der sogenannten Biofeedback-Therapie um eine Verhaltenstherapie, die für eine Muskelstärkung am Enddarm sorgt. Dabei trainiert bzw. kontrolliert der Patient selbst über eine Stimulationssonde den Darmausgang. Wirkt auch diese Behandlung nicht, so stellt die sakrale Nervenstimulation eine Alternative dar; eine insgesamt sehr kostenintensive Methode, die als eine der herausragendsten Fortschritte in der Kolo-Proktologie gilt und deren Erfolg mit überzeugenden Erfolgszahlen belegt werden kann.

Bei der sakralen Nervenstimulation wird eine kleine Sonde unter Röntgenkontrolle durch die Haut an der Nervenbahn platziert, die für die Funktion des Beckenbodens verantwortlich ist. Das ist eine minimal-invasive Punktionstechnik ohne großen chirurgischen Aufwand. Während einer zweiwöchigen Testphase kann der Patient über einen außen am Körper angebrachten Taschencomputer selbst die Wirksamkeit dieses Systems überwachen. Die dann von ihm angegebene Verbesserung seiner Kontinenz dient als Bemessungsgrundlage für eine anschließende dauerhafte Einpflanzung des Schrittmacheraggregats im Fett der Pobacke. Dieser Impulsgeber mit niedrigfrequentem Strom führt zu einer Stimulierung der Sphinkter- und Beckenbodenmuskulatur auf Höhe der sakralen Spinalnerven und zu einer vielfältigen positiven Modulation der Beckenbodenfunktion. Zu den Nebeneffekten gehört, dass diese Nerven-stimulation gleichzeitig auch positive Auswirkungen auf Harninkontinenz und Libido hat.

Die schwere chronische Form der Verstopfung, unter der ebenfalls weitaus mehr Frauen als Männer leiden, bezeichnet man als Obstruktions-Defäkationssyndrom (ODS), was häufig dann entsteht, wenn die Muskulatur des Beckenbodens geschwächt ist. Dies kann wiederum zu strukturellen Veränderungen im Darm führen. Im unteren Darmabschnitt bildet sich dann ein ventilartiger Pfropfen, der die Stuhlentleerung regelrecht blockiert. Bis vor Kurzem bedeutete das häufig eine langwierige konservative Therapie mit gezielten Diäten und speziellen Beckenbodenübungen. Auch aufwendig geräteunterstütztes Training erfolgte oft mit unbefriedigenden Ergebnissen. Griff diese Behandlung nicht mehr, stand die Patientin nun vor der Wahl, sich für eine große Operation zu entscheiden, die eine längere Erholungsphase in Anspruch nahm. Denn die Folgen einer Verstopfung können schließlich zu einem beginnenden Prolaps – dem Vorstülpen oder Heraustreten des Enddarms aus dem After – oder zu einer innenliegenden Ausbuchtung im Darm, einer sogenannten Rektocele, führen. In diese gleitet der Stuhl dann ab und kann dort regelrecht hängen bleiben. Permanenter Stuhldrang sorgt in einem solchen Fall für anhaltendes Unwohlsein und führt dazu, dass Betroffene die Stuhlentleerung sogar digital, das heißt, mit dem Finger unter anderem durch Druck auf den Darm oder die Scheide, unterstützen.

Die sogenannte STARR-Operation (Stapled Trans Anal Rectum Resection) bedeutet so viel wie geklammerte transanale Mastdarmresektion. Hierbei wird über den After der defekte und blockierende Anteil des Mastdarms unter Verwendung von Klammernahtgeräten entfernt. Die weitere Entwicklung dieser Operationstechnik im Sinne von ausgedehnteren Resektionen des Rektums wird dann als TRANSTAR Technik bezeichnet. Diese Operation kann sowohl in Rückenmarksbetäubung als auch in Vollnarkose durchgeführt werden. Sie ist insgesamt als minimal-invasiver Eingriff für die Patienten relativ schonend, schmerz- und komplikationsarm und daher bei einer unausweichlich chirurgischen Behandlung auf jeden Fall ratsam. Verläuft diese OP erfolgreich, ist der Patient schon bald wieder in der Lage, Restfunktionen seines Enddarms zu aktivieren, den Stuhlgang hinauszuzögern und sein Verdauungsverhalten zu kontrollieren.

Die Proktologie ist ein Arbeitsgebiet mit vielen dankbaren Patienten, da hier häufig ein langer Leidensweg beendet wird. Der Rückgewinn an Lebensqualität ist ein wichtiges Kriterium geworden. Diese Patienten können nämlich dann wieder nach draußen gehen und sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft erleben. Dr. Wolfgang Spangenberger

Interdisziplinäres Informationsforum
Da die moderne Proktologie insgesamt einen interdisziplinären Ansatz hat, veranstaltet die Allgemeinchirurgie des VPH ein interdisziplinäres Informationsforum mit gastroenterologischer, chirurgischer, gynäkologischer und radiologischer Beteiligung am 22. September 2010 um 16 Uhr im Lehrsaal der Krankenpflegeschule. Nach Kurzvorträgen findet eine Podiumsdiskussion statt. Fragen aus dem Auditorium können dabei umfassend beantwortet werden.

Chirurgische Klinik am VPH
Allgemein- und Viszeralchirurgie Darmzentrum
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